Harmonica goes MIDI

Vorgeplänkel


Was Musikinstrumente betrifft, war und bin ich schon immer ein Fan von „natürlichen“ Klängen. Verzerrte Gitarren oder synthetische Orgelklänge hatten mich nur anfangs in den 70ern fasziniert, wenn z.B. ein Keith Emerson in die Tasten seiner Moog Synthesizer oder Hammondorgeln haute, ein Alvin Lee, Eric Clapton oder Ritchie Blackmore die Saiten maltretierte. Es war meine „Rock“ Phase, genauer: der aufkommende Progressive Rock und der Jazz Rock. Letzterer führte mich bald über „Blood, Sweat & Tears“, „Chicago“ oder „Colosseum“ direkt zum Jazz: zuerst über die Gitarre, dann die Trompete und schließlich die Querflöte. Letztere fand in der Rockgeschichte ihren Höhepunkt mit Ian Anderson von Jethro Tull.


Meine musikalische Entwicklung als Hobbymusiker habe ich hier aber bereits unter dem Titel „Meine 70er Jahre“ ausführlich beschrieben.


Auch über meine Hinwendung zur Chromatischen Mundharmonika im Jazz hatte ich bereits geschrieben, und Musikergrößen wie Toots Thielemans, Mauricio Einhorn und Hendrik Meurkens als meine geistigen Väter benannt.


Mich eint mit Toots, dass man mit einer Mundharmonika im Jazz oder der Klassik kaum Gehör findet - wer macht schon ernsthafte Musik auf einem „Spielzeug“?


Zugegeben: der Klang einer Trompete oder eines Saxophones fühlt sich jazziger an, als der Sound einer Mundharmonika. Aber die Technik der Mundharmonika mit ihrem 3-Ebenen Prinzip macht sie zu einem exzellenten Musikinstrument der jazzmäßigen Improvisation. Die 3 Ebenen bilden sich körperlich folgendermaßen ab: 


  1. horizontale Verschiebung am Mund, um die i.d.R. 12 Luftkanäle zu erreichen. Diese bilden Gruppen von jeweils 4 Luftkanälen, die eine diatonische C-Dur Tonleiter ergeben. 3 Oktaven stehen also zur Verfügung
  2. Ein- oder Ausatmung, blasen oder ziehen (Saugen)
  3. Ein „Schieber“ oder „Slider“, der die gesamten 12 Luftkanäle einer einen halben Ton höher gestimmten diatonischen Stimmplatte zuordnet (Cis, oder C sharp)


Respiratorisch hat eine Mundharmonika auch gesundheitliche Vorteile: sie kann bei Asthma helfen. Die entspannte Zwerchfell-Bauchatmung gegen einen Widerstand wird trainiert, eine Art gezielte Hechelatmung.


Doch zurück zum Thema „Harmonica goes MIDI“.


Den Sound eines Saxophones, einer Trompete oder gar einer Violine erzeugen zu können, ohne diese Instrumente auch noch erlernen zu müssen, hatte was magisches für mich. Saxophon wäre mit meinen Querflötenkenntnissen nicht so schwierig gewesen, aber Geige und Trompete sind schon andere Kaliber.


Im Zeitalter von Youtube tun sich unfassbare Möglichkeiten auf. Erst stieß ich bei den sogenannten MIDI Controllern neben den Tastenorientierten auf jene, die sich am Luftstrom/Luftdruck (Air) orientieren. Es handelt sich um digitale Blasinstrumente, Aerophone. Haptisch sind diese i.d.R an Saxophonen oder Trompeten orientiert. Der Trompeter James Morrison hatte seine MDT (Morrison Digital Trumpet) vorgestellt und unter den digitalen Saxophonen sind jene von Roland und AKAI wohl gut bekannt.


Seit 2017 hat sich nun ein schwedischer Tüftler - Erik Lekholm aus Göteborg - mit der Frage beschäftigt, ob man nicht auch die Mundharmonika Technik auf MID Controller übertragen könnte. Auf der NAMM 2020 stellte er das serienreife Produkt „Lekholm DM48“ vor, das er zuvor mit dem neuseeländischen Mundharmonikavirtuosen Brendan Power über Prototypen testen ließ.

Die Ironie des Projektes: bis auf den Sound der Munharmonika selber lassen sich fantastische Klangergebnisse erzielen.


Die DM48 (Digital Harmonica, 48 Töne in virtuell 2x12 Luftkanälen, jeweils blasen und ziehen) ist ein reiner MIDI Controller ohne Syntheziser Klänge on board - ein Gerät mit 12 physischen  „Pressure Sensors“. 


Die synthetischen Sounds müssen erst noch über einen Synthesizer (Hardware und/oder Software) in Realzeit verarbeitet werden, bevor sie an Verstärker oder Lautsprecher geleitet werden.


Die MIDI Welt ist komplex und parametrisiert. So können an dieser digitalen muha etwa „Breath sens, Breath curve, Velocity sens, Trig Level, Bend sens/direction, Modltn trg/sens, Slider interv und MIDI Kanäle“ eingestellt werden. Es gibt Parameterkombinationen als „Presets“ für „Wind“, „Keyboard“, „MPE“ (MIDI Poliphonic Expression) und „Geoswam“. Geoswam bezieht sich auf das Softwareangebot von „GeoShred“ mit seinen Swam-Instrumenten.


Das neueste Modell von Lekholm Instruments nennt sich „DM48X“ und hat gegenüber DM48 erweiterte features wie Midi-Bluetooth(BLE)/Wlan und eine RibbonFunc für die Pitchbend und Modulation (Vibrato) Funktion. Der Preis liegt etwa bei 1.200,- EUR.


Die Parametrisierungen und Anleitungen beider Instrumente können im Internet als pdf heruntergeladen werden.


1.200,- EUR wollte ich nicht gleich ausgeben für neue Eperimente, daher schaute ich mich bei „Kleinanzeigen“ und „eBay“ um, und siehe da, in Frankreich wurde zufälltig eine der ersten DM48 (Modell Nr. 18) gebraucht angeboten für 325,- EUR Anfangsgebot. Mein Herz hüpfte: keine zusätzlichen Zollgebühren da EU und ein angemessener Preis. Zu diesem Preis konnte ich das Teil tatsächlich auch ersteigern, einschließlich dem Zusatztool von Brandon Power, einem MiniMIDI Joystick für Pitchbend und Modulation.


„Pitchbend“ und „Modulation“ betrifft erweiterte Klanggestaltungen wie das ziehen von Tönen nach unten oder oben und die Vibratoverzierung. Der MiniMIDI joystick besteht aus einem 3d-Print-Gehäuse und einem im Handel erhältlichen PSP 3000 Joystick (Play Station Portable Ersatzteil). Brandon hat mit Tim Alex Jacobs (Mitxela.com) dieses kleine Gerät entwickelt. Es enthält auf einem  EEPROM die Software, die über eine Onlineanwendung kalibriert werden kann. Die Software ist Javabasiert und benötigt einen Browser, der dies zulässt. Die genaue Vorgehensweise steht ebenfalls auf mitxela.com als pdf zum download bereit.


Digitale Odyssee


Die ganze Sache stellte auch für mich als 40 Jahre erfahrenen Softwareentwickler für Hostsysteme eine Herausforderung dar. Zunächst verfügten die beiden Geräte (DM48 und MiniMIDI Joystick) über USB Anschlüsse Typ A. Heute ist dank EU Norm der kleinere USB-C Anschluss gebräuchlich…damit ging der Ärger auch schon los.


Ich habe ein iPhone 12 mit IOS17, das noch mit Apple Lightning Anschluss funktioniert. Aber das sollte laut Youtube auch funktionieren: eingeschränkt! Schließt man nur DM48 über einen USB-A/Lightning Adapter an, so funktioniert das zwar, aber die Audio-Übertragung via Bluetooth an einen Lautsprecher kann man vergessen: eine zu große Latenzzeit beim Spielen. Ich musste nach einer 3.5 Audio-Stecker Lösung suchen, den die neuen Smartphones nicht mehr bieten. Ich fand einen iPhone Adapter USB-A mit 3,5 Klinke Audio….das funktionierte mit Kopfhörer oder Roland Mobile Kube.


Aber was ist mit dem zusätzlichen MiniMIDI Joystick? Ein „Hub“ musste her: die nächste Hardware-Falle. Hubs mit USB-A Ausgang sind inzwischen ebenfalls selten. Sie haben meist USB-C und benötigen dann meist auch extra Strom. 


Ich fand einen Hub mit USB-A Ausgang und 4 USB-A/B Eingängen. Also wurde der USB-A Ausgang in meinen iPhone Lightning Adapter  gesteckt und sowohl DM48 und der MiniMIDI Joystick in zwei Eingänge des Hubs. Fehlanzeige: mein iPhone liefert zu wenig Saft. DM48 benötigt Strom, den es vom Host zieht. Das neue DM48X hat wegen Bluetooth einen Akku.


Also besann ich mich auf ein Video von Brandon Power, in dem er seine Gerätekonfiguration erklärte: iPad Mini, Hub, DM48, MiniMIDI Joystick.


Ein iPad musste her, aber eines mit 3.5 Klinke Audioausgang, versteht sich. Also rein in „Kleinanzeigen“ und vorher eine Recherche, welche iPad Mini noch einen zusätzlichen Klinkenstecker akzeptierten: iPad Mini Generation 4 mit Lightning.


Unweit von meinem Wohnort wurde tatsächlich eines für 130,- EUR aus dem Jahre 2017 angeboten.


Als nächstes stellte ich Brandons Konfiguration nach, und siehe da, alle drei I/Os funktionierten: DM48 plus MiniMIDI joystick und 3.5 Klinke Audio Ausgang mit iPad Mini 4.


ABER: irgendwie wollte der MiniJoystick nicht richtig die Töne beugen und modifizieren: der Bedienhebel hat 4 Richtungen Ost, West, Süd und Nord. Nord erzeugte ein gutes Vibrato, die anderen Himmelsrichtungen waren irgendwie ein, zwei Oktaven niedriger und sollten eigentlich einen Halbton, 2 Halbtöne oder 3 Halbtöne tiefer regeln.


Also gut: Brandon erklärte was mit einem Online Kalibrierungstool für den Joystick. Gesagt getan: im Internet auf dem iPad den Link aufgerufen: der Joystick über USB Hub wird in der aufgerufenen Website nicht connected…..Hmmmmmmm……


Wer lesen kann ist klar im Vorteil: im pdf zu dem Kalibrierungstool steht klar: man braucht ein Linux oder Windows System und einen Browser dort, der eine online MIDI-Schnittstelle unterstützt….Online, nicht eine im lokalen System! Nicht jeder Browser kann das, es wurde Chrome empfohlen.


Meine Frau hat einen alten Windows 10 Rechner und Chrome. Also Joystick über USB-A connected, Kalibrierungs-Website aufgerufen: „device not connected“. Meine investigative Ader führte mich in den Windows Gerätemanager: der Joystick wurde nicht erkannt, Fehler 43: das Gerät wurde angehalten, weil es einen Fehler gemeldet hat. 


Dann versuchte ich in Browser Chrome erweiterte Einstellungen für MIDI zu aktivieren…..aber ich scheiterte ja bereits beim Gerätemanager. Zündender Einfall: ich schalte meinen USB-A Hub dazwischen…..man glaubt es nicht: plötzlich ist der Joystick verfügbar, zwar noch mit einer Warnung „nicht migriert“, aber, geht doch!


Aber die per link aufgerufene Software zur Kalibrierung des joystick tat immer noch nicht….not connected. Wieder eine Gedankenblitz: was habe ich in Chrome eigentlich für ein MIDI-feature aktiviert? Ein lokales Windows MIDI feature….genau falsch. Also dieses Feature wieder deaktiviert und sieh da, das Kalibrierungstool der Website hat sich connected und ich bekomme den Kalibrierungsbildschirm.


Ich folge den Anweisungen aus dem Videoclip von Brandon, um die 4 Himmelsrichungen anhand der physischen Bewegungen des Steuerhebels in die adäquaten Zonen in der Software zu bewegen, dann Kalkulation und zurückschreiben auf den Stick (brennen).


Zurück an meiner Spiel-Konfiguration ausprobiert: etwas war anders, aber meine Vorstellung über die Tongestaltung mit den Himmelsrichtungen noch nicht erfüllt. Der Steuerhebel scheint immer noch etwas unkontrollierbare Eergebnisse zu liefern. Vielleicht klappte das Zurückschreiben nicht? Keine Ahnung. Das Teil reagiert sehr sensibel auf taktile Manipulation….aber sei es drum: Vibrato geht!


MIDI Software 


Ich habe mich nach der empfohlenen ThumbJam app für die GeoShred app entschieden, weil die dort angebotenen Instrumente von GeoSwam, als in-app Käufe, die realistischsten Sounds liefern.


GeoShred Pro: 19,- EUR

GeoTenorSax: 12,- EUR

GeoVioline: 12,- EUR

GeoTrumpet: 12,- EUR

GeoFlute: 12,- EUR


So wurden aus den 335,- EUR für die gebrauchte DM48 schlussendlich:


DM48 335,- 

Lightning Adap  20,-

USB-A Hub  20,-

iPad Mini 4 130,-

Software  67,-

Fehlkäufe Zub. 100,-

Summa summarum:  672,- EUR


….und viel gelernt!


Jetzt muss ich nur noch die sensible DM48 mehr beherrschen lernen. Das ist schwieriger als bei einer regulären, chromatischen Mundharmonika….aber macht sehr viel Freude.


Mein Fortschritt kann auf meinem Youtube-Kanal begutachtet werden.

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