Ehemalige DDR Bürgerrechtler warnen vor BSW!

Interview Berliner Zeitung mit Markus Meckel (Maximilian Berr, Wiebke Hollerson):


DDR-Bürgerrechtler haben in einem Brief dem BSW vorgeworfen, über den Ukrainekrieg Lügen zu verbreiten. Im Interview bleibt Unterzeichner Markus Meckel dabei.


Markus Meckel war Außenminister der einzigen frei gewählten DDR-Regierung.


Markus Meckel, geboren 1952 im brandenburgischen Müncheberg, war Außenminister der ersten und letzten DDR-Regierung, die aus einer freien Wahl hervorgegangen ist. Er hat Theologie studiert und absolvierte ein Vikariat in einem evangelischen Pfarramt in Vipperow, wurde Pfarrer. Ab den 1970er-Jahren engagierte Meckel sich in der DDR-Opposition. 1989 war er einer der Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR. Von 1990 bis 2009 saß er für die SPD im Bundestag.


Markus Meckel gehört zu den Prominenten unter den Unterzeichnern eines offenen Briefs, der in der vergangenen Woche für Aufmerksamkeit sorgte. DDR-Bürgerrechtler haben darin dem Bündnis Sahra Wagenknecht vorgeworfen, Lügen und Desinformation zum Krieg in der Ukraine zu verbreiten. Sevim Dagdelen, außenpolitische Sprecherin des BSW im Bundestag, hat in der Berliner Zeitung die Anschuldigungen zurückgewiesen. Nun geht die Debatte weiter.


Markus Meckel gehörte im Herbst 1989 zu den Gründern der SDP, der ostdeutschen Sozialdemokratie, und war 1990 Außenminister der einzigen frei gewählten DDR-Regierung. In einem Gespräch will er seine Kritik an der neuen Partei erläutern. Er schlägt als Treffpunkt das Café Zimt und Zucker in der Potsdamer Straße in Schöneberg vor, er wohnt in der Nähe. Im Gespräch ist er mitunter schwer zu stoppen.


Herr Meckel, wie ist der offene Brief von DDR-Bürgerrechtlern gegen das Bündnis Sahra Wagenknecht zustande gekommen?


Martin Böttcher hat ihn geschrieben. Wir kennen uns seit Anfang der 1980er-Jahre. Der Brief ging rum in unseren Netzwerken, das dauerte nur ein paar Tage. Die Absicht war, dass sich Leute äußern, die bei der Friedlichen Revolution aktiv waren. Für Demokratie in der DDR. Bei der AfD tut man ja so, als müsse man sich jetzt wieder „gegen die da oben“ durchsetzen, als brauche es eine Friedliche Revolution 2.0. Dagegen verwahren wir uns. Auch beim BSW klingt das an. Anders als die AfD wird das BSW weniger wahrgenommen.


Warum wurde der Brief von dem Historiker Sascha-Ilko Kowalczuk auf der Plattform X veröffentlicht?


Böttcher hat ihn selbst an Medien gegeben, mit der Bitte, ihn weiterzugeben. Ilko ist ja auch gut vernetzt, er hat es dann ebenfalls veröffentlicht.


Stimmen Sie mit Ton und Inhalt des Briefes überein?

Natürlich! Wenn ich ihn selbst entworfen hätte, kämen jedoch andere Dimensionen hinzu. Etwa Fragen der Menschenrechte und die zentrale Dimension der Rechtsstaatlichkeit. Das war für uns 1989 wichtig und gehört in zentraler Weise zur Demokratie und zum internationalen Recht. Wagenknecht lässt die Diktatur in Russlandvöllig unberücksichtigt. Die Russland-Affinität, die Sahra Wagenknecht hat, kommt durch eine Verleugnung von grundlegender Realität zustande. Ähnliches sieht man bei der AfD. Beide versuchen, an eine Sympathie für Russland anzuknüpfen, die in Ostdeutschlandweit verbreitet ist.


Welche Denkweisen meinen Sie?

Sie hat mit der Dankbarkeit gegenüber Gorbatschow zu tun, sowohl Glasnost und Perestroika betreffend wie auch sein Ja zur Deutschen Einheit. Und sie wurde dadurch erhöht, dass Honeckergegen Gorbatschow war. Diese Sympathie überträgt man fälschlicherweise auf das imperiale und diktatorische Russland Putins. Und dann glaubt man Putins Aussagen, der Westen habe Russland verraten und übervorteilt. Da kommt dann die „Solidarität der Übervorteilten“ ins Spiel. Der Westen hat Russland ausgegrenzt – wie wir DDR-Bürger auch nicht gleichberechtigt sind im geeinten Deutschland – so das Narrativ, das Wagenknecht und AfD gern bedienen.


Empfinden sich Ostdeutsche zu Recht als Benachteiligte?


Auch da kommt vieles zusammen. Zum Beispiel das öffentliche Gedenken an die Einheit, die allein Helmut Kohl zugeschrieben wird. Dabei war es ein Verhandlungsprozess zweier demokratischer deutscher Staaten, es war eine verhandelte Einheit. Die Einheit war die Glücksstunde der Deutschen im 20. Jahrhundert. Und daran haben Ost und West mitgewirkt. Das war kein Geschenk Kohls an die DDR-Bürger. Diese Verhandlungen muss man sich ansehen, um zu haltbaren Bewertungen zu kommen – und das geschieht normalerweise nicht. In diesen Verhandlungen gab es aber eben auch manche Arroganz und Respektlosigkeit. Noch vor wenigen Jahren tat Wolfgang Schäuble so, als wäre die Einladung an die Juden aus der Sowjetunion nach Deutschland eine Tat der Bundesregierung. Dabei war es eine Entscheidung der demokratischen DDR-Regierung 1990, und die Bundesregierung hat damals versucht, es zu unterbinden. Unsere bis heute für Deutschland segensreiche Entscheidung hat er uns offensichtlich nicht gegönnt – und sich selbst zugeschrieben.


Das passt zum Gefühl der Übernahme, das viele Ostdeutsche hatten.


Die Treuhand gilt heute als Schuldige, die Ostdeutsche benachteiligte. Das muss man jedoch differenzierter betrachten. Da gibt es viele problematische Entscheidungen – aber pauschale Verurteilung ist unangebracht, denn die Privatisierung war notwendig!



Sie nennen Sahra Wagenknecht „russlandaffin“. Das klingt so, als stünde sie fest an der Seite Moskaus. Schaut sie nicht nur anders auf den Krieg in der Ukraine?

Ich denke schon, dass man das an vielen ihrer Aussagen festmachen kann. Da sehe ich Überschneidungen mit der AfD. Das sind ähnliche Denk- und Sprachmuster. Es heißt immer: Natürlich war der russische Überfall nicht richtig, aber… Und dann verweist man auf die angebliche Schuld des Westens. So werden Putins Narrative übernommen: Russland wurde vom Westen betrogen, von der Nato bedroht. Und jetzt muss verhandelt werden. Die Frage ist nur, auf welcher Grundlage.


Wann wäre für Sie der Zeitpunkt gekommen?

Das müssen die Ukrainer selbst entscheiden. Da geht es ja nicht nur um Territorium, sondern um Menschen. Was Putin mit den Menschen in den eroberten Gebieten macht, konnte man in Butscha sehen: Und selbst wenn man mit Putin verhandelt – warum sollte er sich diesmal, und damit erstmals, an seine Unterschrift halten? Wieso sollte man ihm jetzt vertrauen können? Wenn es künftig Verhandlungen gibt und dann auch Ergebnisse, wird man nicht allein vertrauen können; es braucht dann auch westliche Sicherheitsgarantien – auch durch uns Deutsche! Fragen Sie mal Frau Wagenknecht, ob sie dazu bereit ist. Bei erneutem Rechtsbruch Russlands wäre Deutschland dann Kriegspartei! So ehrlich muss man sein, wenn man nach Verhandlungen ruft.


Man könnte das in einer Debatte über den russischen Angriffskrieg diskutieren. Sie treten aber mit dem offenen Brief nicht in eine Debatte ein, sondern werfen dem BSW mehrfach Lügen vor. Warum?


Es gibt zum Beispiel die konkrete Lüge, dass französische Soldaten in der Ukraine wären. Daran wurde wider besseres Wissen festgehalten.


Der Brief spricht immer wieder von Lügen, von Lügnern beim BSW. Da drücken Sie sich gerade differenzierter aus, etwa in Bezug auf mögliche Verhandlungen.


Ehrlich gesagt, lese ich nicht jedes Interview von Frau Wagenknecht. Das würde mein Magen nicht verkraften. Wo ich eine Lüge finde, reicht mir das und muss das benannt werden. Doch ist populistische Irreführung nicht weniger problematisch.


Sie bleiben also dabei, dass Sahra Wagenknechtabsichtlich die Unwahrheit sagt?

Ja. Und ich sehe andere Gefahren beim BSW.

Welche denn?

Bei Frau Wagenknecht vermischt sich alles. Ein nationalistisches Denken zum einen, sozialistische Traditionen zum anderen. Links und Rechts, gepaart mit Populismus. Das erinnert mich an die Politik der PiS in Polen. Dieses Nationale, Anti-Europäische, auch Fremdenfeindlichkeit. Das Schüren von Ressentiments. Dazu soziale Positionen, die an alte kommunistische Politik erinnern. Ohne danach zu fragen, wie das finanziert werden kann. Das sind zusammengebaute Denkmuster, die zu keiner kohärenten Politik führen. Sie ruft verbreitete Denkmuster in der Bevölkerung ab – und braut sich ihre gefährlichen und antiwestlichen Thesen zusammen.


Sie nehmen das BSW als fremdenfeindlich wahr?

Natürlich. Frau Wagenknecht greift die Migrationsfrage in einer Tonlage auf, die an die „Das-Boot-ist-voll“-Politik anderer erinnert.

Wer Einwanderung begrenzen will, ist nicht gleich fremdenfeindlich.

Stimmt, grundsätzlich sehe ich das ja auch so.


Sollte man da nicht genau sein?


Hier geht es aber um das Schüren von Ressentiments. In einer Gesellschaft wie in Ostdeutschland ist das besonders gefährlich – denn hier hat man viel weniger eigene Erfahrungen mit Fremden. Gerade wenn man sich im eigenen Land nicht gleichberechtigt fühlt, wie viele Ostdeutsche, werden Fremde als Konkurrenten angesehen, denen etwas gegeben wird, das man für sich beansprucht. Auf der anderen Seite sagt sie, wir wollen eine gerechtere Gesellschaft. Aber für wen denn? Nach unserem Grundgesetz ist die Würde des Menschen nicht nur die Würde des Deutschen. Deshalb sage ich: Das BSW untergräbt die Demokratie. Hinzu kommt, dass es wie die AfD einen Konflikt zwischen den neuen und den „Altparteien“ aufmacht.


In dem offenen Brief unterstellen Sie dem BSW einen „nationalen Sozialismus“. Soll das absichtlich nach Nationalsozialismus klingen?

Ich spreche nicht von Nationalsozialismus. Ich sage nur, dass in dieser Partei beide Denkmuster vorhanden sind. Ein nationalistischer Habitus, der ausgrenzend ist, und dazu sozialistische Grundstrukturen. Daher kommt Sahra Wagenknecht ja auch. Aus der Kommunistischen Plattform der Linken. Dazu ihre Liebe zu Lenin, das hat alles seine Geschichte. Und sie weiß genau, was sie bei vielen ehemaligen DDR-Bürgern nostalgisch gut abrufen kann. Die Gemütlichkeit unter Gleichen, die ohne Ausländer lebten.


35 Jahre nach der Friedlichen Revolution ist kein Bürgerrechtler der beliebteste ostdeutsche Politiker, sondern Sahra Wagenknecht, die aus der SED kam. 

Warten wir mal ab, wie es in zehn Jahren aussieht.

Ärgert es Sie heute?

Also, ich fühle mich nicht verletzt! Ich halte sie einfach für hochgefährlich für unsere Demokratie. Die Partei trägt sogar ihren Namen. In diesem Laden passiert nichts, was nicht von Frau Wagenknecht festgelegt wurde. So war das schon bei der Kaderpartei KPdSU. Sie hat ihren Lenin gut gelesen.


Füllt das BSW nicht auch eine Lücke, die Ihre SPD gelassen hat? Zum Teil erinnert das Programm an die alte Sozialdemokratie.

Das halte ich für einen Witz. Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Menschenrechte sind sozialdemokratische Grundfesten. Der Streit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten entfachte sich vor 100 Jahren genau an dieser Stelle. Eine Lücke aber gibt es bei der SPD, CDU, Grünen und FDP– sie alle haben die grundlegenden Fragen Ostdeutschlands oft zu wenig im Blick gehabt. Das gilt bis heute.


Ist Sahra Wagenknecht für Sie auch eine Feindin der Rechtsstaatlichkeit?

Jedenfalls sehe ich nicht, wo das für sie eine zentrale Kategorie wäre – sonst würde sie Russland anders darstellen.

Weil Sie das Gleiche in Deutschland anstreben würde?

Ich sehe sie als große Populistin. Sie knüpft an das an, was die Leute gern hören. Ob ihre Thesen kompatibel miteinander sind, ist ihr egal. Offenbar spielt für sie Rechtsstaatlichkeit keine große Rolle. Auch die mörderische und imperiale, gegen alles internationale Recht verstoßene Politik Russlands wird nur im Nebensatz kritisiert und nie wirklich zum Thema gemacht. Dazu kommt der Antiamerikanismus. Natürlich kann man auch bei Amerika manches kritisieren. Die US-Politik gegenüber Lateinamerika in den letzten 50 Jahren bietet hier etwa viel Stoff.


Wären Sie weniger aufgebracht, wenn Sahra Wagenknecht die rechtsstaatlichen Defizite in Russland deutlicher ansprechen und trotzdem Verhandlungen im Ukraine-Krieg fordern würde? 

Es muss benannt werden, dass Russland das Selbstbestimmungsrecht eines Landes aberkennt. Uns Deutschen, die wir die Wiedervereinigung erlebt haben, sollte das alarmieren. Dieses Selbstbestimmungsrecht war Teil der zehn Prinzipien der KSZE. Auch dass jedes Land sich sein eigenes Bündnis wählen kann. Das hat auch die Sowjetunion unterschrieben. Gorbatschow hat das anerkannt. Ein Putin ist weit davon entfernt. Für ihn ist es der absolute Horror, wenn eine Bevölkerung wie die ukrainische die Demokratie durchsetzt.


Viele Erstunterzeichner des offenen Briefs sind bei den Grünen oder der SPD. Beim BSW vermutet man eine Kampagne vor den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg.

Natürlich geht es uns um die Wahlen und die Demokratie. Und diese sehen wir durch das BSW in Gefahr. Aber uns geht es nicht um platte Parteipolitik für eine andere Partei – gehören wir doch ganz verschiedenen Parteien an. Und viele gar keiner!


Halten Sie die Linke mittlerweile für eine demokratische Partei?

Ja, schon lange. Sie ist nicht nur demokratisch gewählt, sondern praktiziert demokratische Entscheidungsabläufe. Auch wenn ich sie oft kritisiere, nicht zuletzt in der Außen- und Sicherheitspolitik. Gesellschaftlich war sie insbesondere in den 90er-Jahren gewissermaßen eine „therapeutische Partei“ – sie hat denen, die sich mit dieser Gesellschaft nicht identifiziert haben, in dieser parlamentarischen Demokratie einen Ort gegeben. Und das war wichtig! Gregor Gysi galt für viele als Anwalt der Ostdeutschen. Sahra Wagenknecht versucht, ein ähnliches Bild zu erzeugen.


Könnte das nicht auch eine therapeutische Wirkung haben?

Das glaube ich nicht, weil sie nur Ressentiments verstärkt. Auch gegen die Demokratie.

Das BSW gibt es erst seit Januar. Sollte man dieser neuen Partei nicht noch ein bisschen Zeit geben?

Hat sie doch! Doch muss man sie meines Erachtens als Gefahr klar benennen. Auch nach innen erinnert sie wie gesagt eher an eine zentralistisch geführte Kaderpartei, deren Programm sie selbst ist. Schon das macht sie undemokratisch. Das sollte man doch sagen dürfen!


An wen richtet sich Ihr Aufruf eigentlich? An die Wähler im Osten?

An alle, die es interessiert, zum Beispiel an Sie.

Und an die CDU, die Sie explizit erwähnen.

Das ist ein zentraler Punkt. Wie kann man denn bitte eine Linke unter Bodo Ramelow in Thüringen als undemokratisch bezeichnen? Das ist die platte Ideologie der CDU. Lange war sie auf dem rechten Auge blind. Das will sie jetzt kaschieren, indem sie Äquidistanz zu rechts und links propagiert. Inzwischen begreift sie ja immerhin, dass es Rechtsextremismus gibt. Doch Friedrich Merz hält weiterhin am Popanz eines gleichwertigen Linksextremismus fest und sieht ihn bei den Linken. Deshalb soll die CDU weder mit AfD noch mit der Linken koalieren. Gleichzeitig glauben sie, das BSW wäre ein möglicher Partner: Das halten wir für hochgefährlich!

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