Der Deal mit dem Teufel

Am 1. August 2024 fand ein spektakulärer Austausch von „Gefangenen“ statt, bei dem westliche Demokratien und autokratischen Systeme beteiligt waren.


Den beteiligten Demokratien ging es um die Befreiung von Menschen des Westens, die unter politischem Vorwand im autokratischen Russland inhaftiert wurden, der russischen Autokratie unter Putin ginge es darum, im Westen verurteilte, russische Gewalttäter und Spione zurückzuholen.


Klarer können die Wertesysteme des „Westens“ und des „Ostens“ nicht aufeinandertreffen: Respekt vor der Menschenwürde versus Ganovenehre.


Was gilt ein gegebenes „Wort“, also ein Versprechen? Kommt drauf an! Ein Wort zu Halten oder einen Schwur, kann in vielerlei Hinsicht motiviert sein: Loyalität, Liebe, vertragliche Abmachung, Ehre usw..


Putin ging es vorrangig um die Feilassung seines Auftragsmörders Krassikow, dem sogenannten Tiergartenmörder, der bereits vom deutschen Gericht verurteilt seit 5 Jahren im deutschen Gefängsnis saß, weil er auf offener Straße einen Georgier erschossen hatte. Eine umstrittene Entscheidung des Kanzleramts, wohl auch damit begründet, für den amerikanischen Präsidenten die Freilassung amerikanischer Geiseln zu ermöglichen. 


Die Begrüßung Putins, die Umarmung seines Auftragsmörders Krassikow auf dem roten Teppich und das Eingeständnis seines Pressesprechers Dmitri Peskow, Krassikow sei in der Tat Mitglied des russischen Geheimdienstes FSB, hat letzte Unklarheiten diesbezüglich beseitigt. 


Wurde der Westen hier vorgeführt mit seinen Werten? Ja, das wurde er. Wir befinden uns in der Tat bereits in einem Krieg der Werte, der weit über den Krieg in der Ukraine hinausgeht. Das Kreml-Regime zeigt unverhohlen seine mafiöse Ausrichtung, in der Worte wie Ganovenehre keine leeren Worte bleiben.


Doch halt, wurden nicht auch russische Oppositionelle ausgetauscht? Ja, drei von ihnen - Ilja Jaschin, Andrei Piwowarow und Wladimir Kara-Mursa - wurden bei einer Pressekonferenz in Berlin interviewt. Freilich sind ihre Äußerungen mit Vorsicht zu genießen, denn sie selbst weisen auf hunderte ihrer Leidensgenossen hin, die sich noch in russischen Lagern befinden. Hat man ihnen Auflagen aus dem Kreml erteilt, die ansonsten Restriktionen noch Inhaftierter nach sich ziehen würden? Fest steht, dass der ehemalige Präsident Dmitri Medwedew den Freigelassenen bereits drohte, sie sollten sich neue Identitäten zulegen und sich gut verstecken.


Aber mich quält eine andere Frage: wann ist ein russischer Oppositioneller wirklich ein Oppositioneller?


Illja Jaschin ließ beim Interview z.B. durchblicken, dass er der Ukraine Verhandlungen mit Putin unter der Aufgabe von Gebietsansprüchen nahelegt, sozusagen ein Minsk III.


Es stellt sich also die Frage, führt nur Putin einen Krieg gegen die Ukraine, oder ist die Motivation für solches Handeln doch im russischen Volk tiefer und breiter verwurzelt? Diese Fragen wurden bereits aufgeworfen, als man den russischen Oppositionellen Alexei Anatoljewitsch Nawalny als russischen Nationalisten kritisierte.


Ein Analyst auf der Plattform „X“ - User T_Straub - hat einen „Lackmustest für echte Oppositionelle“ anhand von zwei einfachen Fragen gegeben:


  1. Wie stehst Du zur in der russischen Bevölkerung vorherrschenden Ideologie des Imperialismus und der kulturellen Suprematie? 
  2. Was tust Du ganz konkret, um die Ukraine in ihrem Kampf gegen den faschistischen Aggressor zu unterstützten?


Die erste Frage trifft eine überraschende Grundannahme: die Ideologie eines Imperialismus und einer kulturellen Vormachtstellung seien tiefer im russischen Volk verwurzelt. Wir Deutschen kennen noch den Spruch: „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, ein politisches Schlagwort, welches auf Emanuel Geibels Gedicht Deutschlands Beruf von 1861 zurückgeht.


Unter den oben genannten Kriterien ist Illja Jaschin sicher gescheitert: Oppositionell ja, aber mit welcher Motivation? Schielt man auf eine eigene, künftige Machtbeteiligung in einem neuen Russland? Ist der Faschismus noch in irgendwelchen Gehirnwindungen verborgen?


Wir wissen es nicht, müssen aber auch bei russischen Oppositionellen vorsichtig sein. 


Der „Deal mit dem Teufel“ mutiert aber leider zu einem politischen Alltagsgeschäft, denn Putin hat abermals gelernt, dass er mit dem Westen machen kann was er will - mental wohlgemerkt. Eine mafiöse Ethik ist einer Ethik der Menschenwürde leider überlegen.


Wirtschaftlich und damit auch militärisch wird auch die eingeleitete Kriegswirtschaft die Lage an der ukrainischen Front nicht zu seinen Gunsten verändern. Zwar gibt es auch im Westen immer mehr stimmen, die seiner Propaganda der „russischen Größe und Stärke“ auf den Leim gehen, wenn mit erheblichen Verlusten an Mann und Material auf russischer Seite kleine Ortschaften in der Ukraine eingenommen werden, weil der Westen nur halbherzig und ängstlich die Ukraine militärisch unterstützt: nach wie vor darf russisches Hinterland mit militärischen Stellungen mit westlichen Waffen nicht angegriffen werden.


Warum wird die Lüge im Westen verbreitet, Sanktionen würden nicht wirken? Weil sie teilweise umgangen werden? Nein, die russische Wirtschaft gerät zunehmend ins Trudeln trotz oder gerade wegen der Kriegswirtschaft. Wir sollten uns erinnern, das Gorbatschow nur möglich wurde, weil der Westen mit seiner Wirtschaftskraft im Kalten Krieg die UdSSR niedergerüstet hatte . Und wieviel weniger ist das heutige Russland gegenüber der ehemaligen UdSSR? Und wurden nicht jüngst Zahlungen zwischen Russland und China eingeschränkt? Man kann sich alles so zurecht legen, wie es der eigenen Ideologie entspricht.


Es kann keinen dauerhaften Frieden zwischen Russland und der Ukraine geben, wenn nicht eine militärische Schutzmacht die territoriale Integrität der Ukraine garantiert. Die Minsk Versuche einzelner Nationen als Garantiemächte sind gescheitert. Putin konnte ungehindert angrenzende Länder überfallen.


Damit ist klar, dass diese erforderliche „Garantiemacht“ nur die NATO sein kann, und mithin eine rasche Mitgliedschaft der Ukraine in NATO und EU. Alle anderen „Einfriertheorien“ und Verhandlungsforderungen „statt“ Waffen sind nicht nur Augenwischerei, sie grenzen bereits an Verrat der westlichen Werteordnung!

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