Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) - eine Analyse von Ilko-Sascha Kowalczuk

Ilko-Sascha Kowalczuk  (* 4. April 1967 in Ost-Berlin) ist ein deutscher Historiker und Publizist mit dem Schwerpunkt Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Aus „x“ (ehemals Twitter) seine Analyse zu BSW:


„Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – ich habe versucht, in der deutschen Geschichte Parteien zu finden, die sich nach einer einzelnen Person benannt haben. Mir ist kein offizieller Parteiname bekannt geworden. Allerdings gab es im linksradikalen Spektrum Kleinstparteien, die sich nach Lenin oder Trotzki nannten. Auch international ist die Benennung nach einer Person ungewöhnlich und fast ausschließlich im extremistischen, nichtdemokratischen Spektrum zu verorten. 


Wagenknecht ist eine theoretisch an Marx, Lenin und Stalin geschulte Theoretikerin, die einerseits mit den Mühen alltäglicher Organisationsarbeit nicht sonderlich viel am Hut hat, die andererseits Ulbricht und Stalin nicht zuletzt für deren Orientierung auf Organisationsarbeit schätzte. Sie weiß sehr genau, dass Politik und insbesondere die von ihr angestrebte grundsätzliche Neuordnung der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse eine stringente und straffe Organisationsarbeit zur Voraussetzung hat.


Robert Michels beobachtete 1911 anhand der SPD:„Wer Organisation sagt,sagt Tendenz zur Oligarchie.“Wer seiner eigenen politischen Bewegung seinen eigenen Namen verpasst, kann sich wohl kaum gegen den Vorwurf wehren, eine Oligarchie anzustreben.


Nun ist Wagenknecht eine leninistische Ideologin, was die meisten gar nicht mehr decodieren können, weil einerseits viele nicht wissen, was Leninismus ist, und weil andererseits Wagenknecht ihren leninistischen Politikansatz gut zu verstecken weiß.


Noch Jahre vor Michels hattte Lenin in seiner Schrift „Was tun“ (der Titel spielt auf einen berühmten russischen Roman von 1863 an, der im linken Lager Russlands und Westeuropas ungemein ein-flussreich war) zentrale Aspekte der Organisationsfragen betrachtet, womit er sozialdemokratische Traditionen überwinden wollte. Der wichtigste und bekannteste Aspekt war Lenins Erfindung der „Partei neuen Typus“, mit der er die Marxsche Revolutionstheorie veränderte und den Beginn des später so genannten Leninismus markierte. Die neue Parteiform sollte aus Berufsrevolutionären bestehen, eine Avantgarde bilden (ihre soziale Herkunft war gleichgültig), konspirative Regeln wahren, Hauptsache, sie hatten sich dem revolutionären Umsturz und der Führung der Arbeitermassen verschrieben und sie mussten bereit sein, der Parteiführung quasi mit militärischem Gehorsam ergeben zu sein. Die „Partei neuen Typus“würde die „Diktatur des Proletariats“ so lange befehligen, bis sich alle ihrer Doktrin unterworfen hätten (und alle anderen ausgemerzt seien). 


Stalin brachte das in die einprägsame Formulierung: „Die Diktatur des Proletariats ist die durch kein Gesetz beschränkte und sich auf Gewalt stützende Herrschaft des Proletariats über die Bourgeoisie...“


Das BSW ist bislang ein Wahlverein, dessen einziges Merkmal die charismatische Figur Wagenknecht ist. Sie begründet die rigide Aufnahmepraxis damit, dass sie nur qualifizierte Mitglieder haben möchte und nicht die ganzen Verrückten, die Neugründungen üblicherweise anziehen, ein Argument, dass nicht an den Haaren herbeigezogen ist. 


Ungeachtet der Tatsache, dass die kleine Partei schon sehr schnell ein Problem haben könnte (wie die es bereits AfD hat), dass sie nämlich deutlich mehr Mandate erringt als Personal dafür zur Verfügung zu haben, stellt sich die Frage, ob Wagenknecht über ihr vorgebrachtes Argument hinaus Motivationen haben könnte, die das BSW zu einer derart rigide geschlossenen Einrichtung machen.


Wagenknecht ist nicht nur eine Theoretikerin, der jede praktische politische Erfahrung mit Verantwortungsübernahme fehlt, sie weiß überdies sehr genau aus der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts – und hier kennt sie sich aus –, dass politische Projekte oft an sich selbst und nicht äußeren Umständen oder politischen Kontrahenten scheitern (sie hat mit „Aufstehen“ diese Erfahrung selbst gemacht, im übertragenen Sinne auch mit den Projekten PDS/Linkspartei und der KPF in der PDS/Linkspartei, weshalb sie ja BSW initiierte). 


Um das BSW zu verstehen, muss man Wagenknechts Staatsvorstellungen begreifen. All ihre Äußerungen, Statements und Publikationen legen Zeugnis davon ab, sie keine Anhängerin liberaldemokratischer Staatsvorstellungen, wie das Grundgesetz es etwa für die Bundesrepublik definiert, ist, sondern autoritären Staatsvorstellungen anhängt. Ihr schwebt ein starker Staat vor, der die Gesellschaft einhegt, bevormundet und gängelt und enge Grenzen definiert. 


Dazu zählen auch eine stark protektionistische Ausrichtung, eine im wahrsten Sinne starke Grenzbefestigung, ein Rückzug aus internationalen Bündnissen sowie eine von der wirtschaftlichen Entwicklung losgelöste staatliche Sozialpolitik. Auch ihre explizite nationale Ausrichtung, mit der sie der Globalisierung ebenso entgegentreten will wie der Zuwanderung, erfordern einen anderen, einen autoritären Staat, der vielleicht nicht der Polizeistaat werden soll, der der AfD vorschwebt, der aber nicht mit dem GG in Übereinstimmung zu bringen ist. 


Wagenknechts Verteidigung der russischen Diktatur entspringt nicht nur den üblichen antiwestlichen Reflexen und ihre vergifteten „Friedens“forderungen nicht nur ihrem antifreiheitlichen Friedensvorstellungen, sondern hängen mit dem russischen autoritären Staat unter Putin zusammen. 


Ich nehme ihr ab, dass sie Putin nicht mag, aber ich würde ihr nicht abnehmen, dass sie ihn nicht bewundert. Denn ihr strategisches Kalkül besteht primär darin, Russland als wichtigsten Wirtschaftspartner Deutschlands zu gewinnen, um so ihre Macht auszubauen, was wiederum nur mit einer Großmacht im Rücken ihrer Meinung nach funktioniert. Immer wieder betont sie, wie zentral die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland für Deutschland wären – ein Unsinn, den ihr viele glauben.


Und an dieser Stelle komme ich zurück auf das BSW. Natürlich sind das politische Ziele von Wagenknecht, die strategisch zu nennen sind und so schnell schon deshalb nicht in Erfüllung gehen, weil das BSW nur im Osten Deutschlands als politische Kraft bislang existiert.Doch wer weiß schon, was bei der übernächsten oder der darauffolgenden Bundestagswahl geschehen wird. 


Um aber dieses strategische Ziel – auf Bundesebene machtvoll zu reüssieren – nicht aus den Augen zu verlieren, benötigt Wagenknecht eben keinen bloßen Wahlverein – zumal sie selbst ja vor 2025 gar nicht zur Wahl steht, nur ihr Name –, sondern eine „Partei neuen Typus“, eine eingeschworene, der Führung – in diesem Falle allein ihr – ergebene Gruppe von Berufsideologen, die alles dafür geben, um eine mit einem scheindemokratischen Mäntelchen umhüllte Oligarchie zu errichten. Und zwar eine, die ein enges Bündnis mit der Oligarchie in Russland anstrebt.

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