Nawalnys Tod - warum erhält Putin in Russland dennoch so viel Zuspruch?

Im Folgenden geb ich überwiegend fremde Stimmen wieder, die ich ggf. nur kommentiere.


Kein russischer Oppositionspolitiker ist Russlands Präsidenten Wladimir Putin je so gefährlich geworden wie Alexej Nawalny. Nun ist er russischen Angaben zufolge in einer Strafkolonie in Sibirien im Alter von 47 Jahren gestorben. Die Ursache ist bislang unbekannt. Nawalnys Tod reiht sich ein in eine Serie von mitunter rätselhaften Todesfällen, hinter denen russische staatliche Stellen vermutet werden.


Inzwischen werden Blumen für ihn an Orten entsprechender Helden-Gedenkstätten abgelegt, die Überbringer der Blumen werden von dem Putin-Regime abgeführt und bis zu zwei Wochen in Haft gehalten.


Wie konnte es so weit kommen, und warum wird dieser Ausnahmeoppositionelle so besonders behandelt? Warum wurde er nicht wie Boris Nemzow auf offener Strasse in Moskau erschossen? Bereits bei seiner Vergiftung mit dem Nervenkampfstoff Nowischtok 2020, die er nur wegen einer Behandlung in der Berliner Charité überlebte, wies Putin den Vorgang der Vergiftung mit den zynischen Worten zurück: wenn er es beauftragt hätte, wäre es auch erfolgreich gewesen. 

Warum wurde Nawalny ein Monat vor der russischen Präsidentschaftswahl noch mehr isoliert? Fragen über Fragen. Aber die Logik eines Diktators ist nicht immer einfach und stringent.


Nachdem der Oppositionspolitiker Boris Nemzow 2015 in der Nähe des Kreml erschossen worden war, nahm Nawalnys Popularität noch zu. Staatliche Medien ignorierten ihn, doch Nawalny erreichte über das Internet vor allem junge Russinnen und Russen. Auf diese Weise konnte er auch abseits der großen Metropolen ein starkes Netz von Regionalbüros aufbauen.


Seitdem ich einen X-Account (vormals Twitter) habe, erschrecke ich dort über die zunehmende Anzahl von Verschwörern und Trollen, die sich zu Wort melden. So wird etwa der Wittwe von Nawalny unterstellt, sie wäre just am Tage vom Tod ihres Ehemannes zur Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) eingeflogen worden, und man könne auf ihrem Auftritt dort doch erkennen, wie sie sich ein Lachen verkneifen würde etc..


…wenn man aber wie ich Recherche (nur ein wenig) betreibt, erfährt man, dass Frau Nawalny als Vertreterin einer russischen Organisation gegen Korruption sich schon lange auf der Einladungsliste der MSC befand. 


Auch um diesem zunehmend laxen Umgang mit Informationen und dem unkritischen und  allzu schnellem Weiterposten unreflektierter Beiträge entgegenzuwirken, schreibe ich meine Artikel! Russische Propaganda-Trolle sind massiv unterwegs in den sozialen Kanälen.


Doch zur Sache:


T-Online. zu den Umständen von Nawalnys Tod:


Wladimir Putin als Diktator zu bezeichnen, ist gerechtfertigt. Der Kreml hat den totalitären Charakter Russlands selbst bestätigt. "Es gibt keine größere Macht als das Wort des Präsidenten", sagte der Vorsitzende des Russischen Föderationsrats im Dezember 2022. Das Gremium ist das Oberhaus des Parlaments und Putin treu ergeben.


Auch nach wissenschaftlichen Kriterien kann Russland inzwischen als Diktatur angesehen werden. Keine wichtige Entscheidung wird ohne Zustimmung des Machthabers gefällt. Und so waren sich alle (westlichen) Experten schnell einig, dass der Putin-Gegenspieler Alexej Nawalny nicht nur eines unnatürlichen Todes starb, sondern der russische Präsident sehr wahrscheinlich in den Fall involviert ist. Die russische Opposition und Menschenrechtler werfen Putin sogar Mord vor.


Dass der Kreml am Tod Nawalnys beteiligt gewesen sein könnte, dafür gibt es inzwischen ernst zu nehmende Hinweise. So berichtet das unabhängige Nachrichtenportal "Meduza.org" unter Berufung auf die Menschenrechtswebseite "Gulagu.net" von zahlreichen Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit dem Ableben Nawalnys. Etwa von einer Beteiligung des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.


"Gulagu.net" ist es offenbar gelungen, Kontakt zu einem Mithäftling Nawalnys aufzunehmen. Dieser schildert die Ereignisse am Tag vor der offiziellen Todesmeldung am Freitag, dem 16. Februar.

Schon am Abend zuvor seien demnach zwei FSB-Offiziere in die Strafkolonie Nr. 3 "Polarwolf" in Sibirien gekommen und hätten mutmaßlich Kameras und Abhörgeräte demontiert. Die "hätten aufzeichnen können, was am 15. Februar mit Alexei Nawalny passiert ist", so der Insasse. Laut "Gulagu.net" ist dieser Besuch in einem Bericht einer Zweigstelle des Bundesstrafvollzugsdienstes des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen erwähnt worden.

 

Wie die kremlkritische "Nowaja Gaseta Europa" weiterhin berichtet, sei es an dem fraglichen Abend in dem Straflager im Norden Russlands zu einem "Aufruhr" gekommen, weil das Wachpersonal eine beschleunigte Abendkontrolle durchgeführt habe. Der Vorfall sei sehr ungewöhnlich, da eine solche Kontrolle normalerweise nur vor Feiertagen passiere. "Sie sperrten uns in den Baracken ein, warnten uns davor, uns zwischen den Baracken zu bewegen und verstärkten die Wachen", zitiert die Zeitung ebenfalls einen Häftling.


Der Mithäftling spricht zudem davon, dass sich die Aufregung in der Strafkolonie Nr. 3 auch am Morgen des 16. Februar fortgesetzt hätte. Demnach habe das Wachpersonal "Mobiltelefone, Landkarten und sogar Heizkessel" vorübergehend beschlagnahmt, die Insassen vermuteten eine allgemeine Inspektion. Jedoch werde eine solche in der Regel mit wochenlangem Vorlauf angekündigt. Stattdessen sei eine "Kommission erschienen", so der Häftling. Um welche Art Kommission es sich handelte, benennt der Bericht nicht.

Ebenfalls ungewöhnlich ist die Chronologie der Todesmeldung Nawalnys. Laut offiziellen Angaben russischer Behörden soll der Tod des inhaftierten Putin-Gegners am 16. Februar um 14.17 Uhr eingetreten sein. Nach einem "Spaziergang" habe der 47-Jährige plötzlich über Unwohlsein geklagt und dann das Bewusstsein verloren, heißt es.


Schon zwei Minuten später, um 14.19 Uhr, so schreibt "Gulagu.net" bei Telegram, habe der Föderale Strafvollzugsdienst eine entsprechende Pressemitteilung auf seiner offiziellen Website veröffentlicht. Und wiederum eine Minute darauf, um 14.20 Uhr, hätten die staatlichen Nachrichtenagenturen Tass und Ria Novosti den Tod des "Sträflings Nawalny" verkündet.


Die Agenturen zitierten aus der Mitteilung des Strafvollzugsdienstes, wonach "alle notwendigen Wiederbelebungsmaßnahmen ohne positive Ergebnisse durchgeführt" wurden. "Die Rettungswagenbesatzung erklärte den Verurteilten für tot", hieß es. Unklar ist, wie die staatlichen Nachrichtenagenturen so schnell an die Informationen über Nawalnys Tod kommen und diese dann auf ihren Seiten berichten konnten.


Doch das Muster setzt sich fort: Sechs Minuten nach Nawalnys offiziellem Ableben, um 14.23 Uhr, wusste der staatlichen Behörden nahestehende Telegramkanal 112 dann schon, dass von russischen Behörden ein "Blutgerinnsel" als wahrscheinliche Todesursache angenommen wird. Und um 14.30 Uhr bestätigte Kremlsprecher Dmitri Peskow, dass Putin über Nawalnys Tod informiert worden sei – weniger als eine Viertelstunde, nachdem der Tod Nawalnys eingetreten sein soll.

Wie die Behörden so kurz nach dem verlautbarten Todeszeitpunkt Nawalnys schon die Ursache "Blutgerinnsel" nennen konnten, das fragen sich nicht nur die Menschenrechtler von "Gulagu.net", sondern auch Vertraute des Dissidenten. Sie vermuten, dass der prominente Antikorruptionskämpfer schon in der Nacht zuvor umgebracht worden sein könnte.


Und die Merkwürdigkeiten setzen sich fort. Denn auch am Montag, drei Tage nach dem Tod Nawalnys, haben die Angehörigen noch keinen Zugang zur Leiche erhalten. Seine Mutter Ljudmila Nawalnaja hatte im Straflager "Polarwolf" nur die Todesnachricht erhalten. Obwohl ihr mitgeteilt wurde, dass sich sein Leichnam in der Stadt Salechard zur Untersuchung befinde, konnten die Anwälte den Toten dort zunächst nicht ausfindig machen.


Mehr als 12.000 Menschen in Russland forderten laut Bürgerrechtlern in einem Aufruf, den Leichnam des ums Leben gekommenen Politikers an die Hinterbliebenen zu übergeben. Die Bürgerrechtsplattform OWD-Info hatte die Petition erst am späten Samstagnachmittag gestartet. Die Herausgabe müsse schnell erfolgen, heißt es in der Erklärung: "Wenigstens nach seinem Tod sollte Alexej Nawalny bei seinen Angehörigen sein."

Dass der Leichnam inzwischen in der Leichenhalle des Bezirkskrankenhauses in Salechard, rund 50 Kilometer von der Strafkolonie "Polarwolf" entfernt, aufbewahrt werde, sei ebenfalls ein unüblicher Vorgang, so "Nowaja Gaseta". Normalerweise würden die Leichen der in der Strafkolonie Verstorbenen direkt in die Gerichtsmedizin gebracht und nicht in die Leichenhalle des Bezirkskrankenhauses, schrieb die Zeitung unter Berufung auf einen Sanitäter des medizinischen Notfalldienstes von Salechard.


"Sie haben den Körper zur Leichenhalle [der Klinik] gefahren, ihn hineingeschoben und dann zwei Polizisten vor der Tür aufgestellt, die den Eingang bewachen. Genauso gut hätten sie auch ein Schild aufstellen können, auf dem steht: 'Etwas Mysteriöses geht hier vor sich'", so der Sanitäter. Eine Obduktion habe zumindest bis Samstag noch nicht stattgefunden. Zudem soll der Körper des Toten blaue Flecken aufweisen.


T-Online. Ende


Nun möchte ich einen positiven und fundierten Beitrag eines X-Accounts wiedergeben, der wie ich meine sehr überzeugend schildert, warum die meisten Russen der Putin-Propaganda glauben möchten.


Drei Gründe, warum der Putin-Faschismus die Russen infizierte, von Twitter (X) user @T_Staub:



1. Russen sehen die Welt anders. Was ich als Schweizer beispielsweise nie verstehen konnte: Sie ziehen es wirklich vor, in einem großen Imperium zu leben - und dass nicht etwa aus Aggression oder weil sie Imperien gut finden, sondern weil es ihnen ein Gefühl der Sicherheit gibt. Die Grundidee: Russland ist anders als andere Länder, denn es braucht einen guten "Chosijaijn" (Hausherr), wie z.B. der eher milde Alexander II, und dann läuft alles gut. Ohne Hausherr dagegen ist nur Streit – siehe den russischen Bürgerkrieg (7-12 Mio Tote, viel mehr als im ersten Weltkrieg), die 1990er Jahre (nichts zu essen) oder auch die Zeit der Wirren (Die Zeit von 1598 bis 1613, im russischen Geschichtsunterricht extrem negativ konnotiert). Auch ist der russische Patriotismus durchaus echt, so wie ich es in der Schweiz noch erleben konnte, und heute vielleicht in Frankreich oder den USA – und genau das nutzt die Putin-Propaganda gnadenlos aus: Ständig redet sie von "wir", die Russen, die Guten. Und "wir" sind dann gegen "sie", die blutigen Amerikaner, die Nazis in der Ukraine, die Nazi-Nachkommen in Deutschland, die sexuell Dekadenten, etc.


2. Russen sind isoliert. Es ist das fehlende Geld, das große Land. Beispielsweise wird ein Lehrer in der Provinz mit einem Monatslohn von jetzt 200-400(?) Euro niemals ins Ausland fahren können. Und warum sollte er auch – schließlich lebt in einem wunderschönen Land mit viel Natur, es erstreckt sich über 11 Zeitzonen, mit warmen Stränden am Schwarzen Meer, unendlich viel Wald, schneebedeckten Bergen. Entsprechend fehlen auch die Fremdsprachenkenntnisse – man braucht sie in Russland einfach nicht, wozu auch. Und zack, schon ist man auf russische News angewiesen. Dazu kommt die direkte Zensur (Mit Echo Moskwy wurde der letzte unabhängigen Fernsehsender geschlossen), der hohe Aufwand für das Umgehen der Zensur (wenn jemand verbotene West-Quellen im Internet anschauen will, braucht er/sie ein VPN, und dem muss man dann auch wirklich trauen können...). So ist es kein Wunder, dass die Denkmuster oft aus der Propaganda kommen.


3. Russen sind resigniert. Nach dem unendlich blutigen Bürgerkrieg kam der Kommunismus, dann der unendlich blutige WK2, heute der Putinismus. In jeder Familie musste irgendjemand irgendwann dran glauben. Und die durch den Staat indoktrinierte Grundlektion war immer die Gleiche, sie besteht aus zwei Teilen: 1. Behalte den Kopf möglichst tief, dann geschieht Dir eher nichts. 2. Die da oben bestimmen, du als Einzelfigur hast sowieso keinen Einfluss. Wie oft haben mir Freunde schon gesagt: "Warum engagierst Du Dich überhaupt? Es bringt doch sowieso nichts". Sie verkriechen sich, Kritik äußern sie nur noch am Küchentisch. Eigentlich werden sie zum Untertan, und wenn die eigenen Regierung mordet, dann schauen sie (auch für das eigene Selbstbild) einfach weg. Und, bitte beachten, das sind die "guten Russen", nicht die "Super-Patrioten", die ständig russisches Fernsehen schauen – die sind m.E. alle zu echten Blutsäufern mutiert, auch wenn sie in Deutschland oder der Schweiz wohnhaft sind, und ich kann diese Leute nicht mehr treffen.


Der Punkt ist, m.E. muss man das heutige Russland als faschistisch bezeichnen, und viele Russen auch. Aber eben nicht alle! Und das war damals in Deutschland etwa gleich, wenn man z.B. Sebastian Haffner glauben darf. Trotzdem aber bin ich für die Zukunft optimistisch, denn Putin ist alt und abgenutzt, und seine Henker (Patruschew, Narischkin, Gerassimow…) sind es auch. Die Ukrainer (und zuletzt auch die Belarussen) haben gezeigt, dass es auch anders geht. Und in Russland kam es nach verlorenen Kriegen immer wieder zum Wechsel, das letzte Mal nach Afghanistan.


Also, ich muss Geduld haben. Viel Geduld. Viel zu viel Geduld. Nur, es wäre nett, wenn am Ende dieser Geduld meine ukrainischen Bekannten größtenteils noch leben würde. Und deshalb wäre es wichtig, dass wenigstens der Westen endlich mal die Situation begreifen würde – sodass nicht noch mehr Ukrainer sterben müssen, und dies auch für uns.


Im Bild ein altes russisches Plakat: "Vielen Dank dem geliebten Stalin, für die glückliche Kindheit!":

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