Chromatische Harmonika

Toots Thielemans und Mauricio Einhorn

In den späten 70ern hatte ich mich neben meinem Interesse für den Jazz und seiner mir zusagenden Instrumente Gitarre und Trompete auch der chromatischen Mundharmonika zugewandt.


Motiviert hatten mich der belgische Virtuose Toots Thielemans und der brasilianische Virtuose Mauricio Einhorn. Bei meinem ersten Kontakt mit dem Instrument viel mir sehr schnell auf, welches Potential dieses kleine Instrument bei jazztypischen Phrasierungen beherbergt.


Das Spiel dieses Instruments ist „dreidimensional“: ein- und ausatmen, verschieben des Instruments horizontal von Luftkanal zu Luftkanal und betätigen des „Schiebers“, der die diatonische C-Dur Tonleiter in Cis-Dur verwandelt. 


Dabei ist die Atemtechnik erstmal zentral. Die C-Dur Tonleiter besteht aus


Kanal 1/ausatmen/C

Kanal 1/einatmen/D

Kanal2/ausatmen/E

Kanal2/einatmen/F

Kanal3/ausatmen/G

Kanal3/einatmen/A

Kanal4/einatmen/H

Kanal4/ausatmen/C


Eine 12 Kanal Mundharmonika hat 3 mal diese 4 Kanäle, umfaßt also 3 Oktaven.


Es fällt auf, dass die beiden Halbtonschritte E/F und H/C einer diatonischen C-Dur Tonleiter atemtechnisch unterschiedlich sind: E/F aus/ein und H/C ein/aus. Die Ganztonschritte sind immer aus/ein.


Wird der „Schieber“ gedrückt, wird aus C-Dur Cis-Dur und damit sind alle 12 Halbtöne aller Tonleitern vorhanden.


Übrigens drückt sich die C-Dur Diatonik auf dem Klavier durch die „weißen“ Tasten aus: E/F und H/C sind natürliche Halbtöne mit weißen Tasten, die „schwarzen“ Tasten bilden die restlichen 5 Halbtonschritte zwischen den „weißen“ Ganztonschritten ab. Insgesamt also 7 Halb- und Ganztonschritte auf weißen Tasten plus 5 Halbtonschritte über die schwarzen Tasten.


Mit den 12 Halbtönen, die ja die „chromatische“ Tonleiter abbilden, hat man das Tonmaterial aller sogenannten Skalen und Modi: ob moll, dur, ionisch, dorisch, phrygisch bis lokrisch (Kirchentonarten): beginnt man die C-Dur Tonleiter normal mit C beginnend mit ihrem zweiten Ton D, verschiebt sich die Struktur der Lage der natürlichen Halbtonschritte E/F und H/C, um einen Ton, man erhält die „dorische“ Tonart usw.. Es ergeben sich also auch 7 Modi bei jeder Tonart. Die Tonarten orientieren sich an den 12 Halbtönen, daher gib es 12 Tonarten, 6 # Tonarten und 6 b Tonarten, wobei Ges und Fis übereinstimmen. Hinzu kommen noch zig Tonleitern im Blues, indisch, chinesisch etc..


Wie soll man also vernüftig üben, um relativ schnell auf jede zu spielende Melodie in dem 3-dimensionalen Mundharmonikasystem reagieren zu können, oder „vorbereitet“ zu sein. Wenn man alle Tonleitern und Modi üben wollte um auf abertausende Melodievariationen „vorbereitet“ zu sein, wäre man überfordert.


Meine persönliche Lösung: die chromatische Tonleiter beginnend bei C und jeweils in halbtonschritten über jeweils einer Oktave nach oben verschieben und das Ganze zusätzlich in Triolen und wieder rückwärts. Das wird 5 Minuten in Anspruch nehmen, wenn man die chromatische Tonleiter beherrscht. Meine Erfahrung ist dabei, dass mit dieser simplen Übung bereits das eigene Körpersystem auf das Spielsystem chrom. Mundahrmonika so konditioniert wird, dass bald schon intuitiv improvisiert werden kann.

Kein kompliziertes Denken in Tonarten oder Arpeggios ist mehr notwendig.


Auf der Querflöte hatte ich dieses Prinzip später ebenfalls erfolgreich angewandt, ergänzt durch das Durchspielen aller 12 Tonarten im Quintenzirkel.


….und dann heißte es eigentlich nur noch Melodien spielen und improvisieren, statt Etüten und Übungen zu exerzieren - Musik machen eben statt langweilige Instrumentübungen.


Die Mundharmonika ist ein Instrument für jeden und eines der am weitesten verbreiteten und erschwinglichsten Instrumente auf der Welt überhaupt. Folgendes Buch zur Geschichte der Mundharmonika ist empfehlenswert:



Beispiel „Bluesette“ auf meinem YouTube Kanal

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