Heute mal eine ganz andere Weihnachtsansprache als die üblichen. Auch ich habe aber die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, sondern verstehe das Folgende lediglich als Denkanstöße.
Um zu ergründen, was denn „Liebe“ eigentlich sei, haben sich seit Urzeiten unzählige Denker und Dichter abgemüht, ähnliches kann man vom „Frieden“ berichten. Bedeuten „Liebe“ und „Frieden“ denn auch automatisch Abwesenheit von Gewalt?
„Frieden auf der Welt und den Menschen ein Wohlgefallen“ verkünden die Engel, die Boten der wahren Menschlichkeit, als im Jahre „Null“ der Christenheit ein „Heiland“ geboren wird.
In zwei Tagen ist er wieder da, der „Heilige Abend“ und die meisten Menschen erhoffen sich wenigstens dann ein wenig Frieden, Familie, Zusammensein, Miteinander und Besinnlichkeit. Nicht wenige aber werden nach Weihnachten dann konstatieren müssen: war das nun Frieden oder Krieg?
Im Fernsehen und Kino wird zwar oft komödiantisch beschrieben, was an diesen Besinnungstagen so alles im trauten Heim tatsächlich auch an Besinnungslosigkeit geschehen kann, aber ist da nicht auch was Wahres dran?
Frieden und Liebe können nicht verordnet und verortet werden, z.B. am 24. Dezember eines Jahres im trauten Heim. Frieden und Liebe sind innere Eigenschaften eines jeden Menschen, keine äußeren Bedingungen. Es sind meist verschüttete Eigenschaften, verschüttet vom Altagsgeschehen, den Pflichten, den Wünschen der Anderen an einen, den eigenen Wünschen in einer Wohlstandsgesellschaft, die sich den „Dingen“ und damit dem „Haben“ verschrieben hat statt dem „Sein“. Ganz schlimm wird es, wenn dieses dingliche „Haben müssen“ dann auch auf Partner, Angehörige, Familien, Freunde und Bekannte übertragen wird.
„Erleben“ statt „leben“, konsumieren statt wahrnehmen, Ich-Zentrierung statt Du-Ausrichtung, nehmen statt geben, Kritik statt Lob, Leistung statt Erfüllung.
Und da wird am 24. Dezember eines jeden Jahres die Geburt desjenigen gefeiert, der später an seine Nachfolger gerichtet verkündet: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mat. 10,34)
Und er fährt fort:
„Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein.“ (Mat. 10,35-36)
Und er begründet:
„Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.“ (Mat. 10,37)
Was aber meint dieser Heilsbringer eigentlich mit diesen Worten, dessen Geburt eigentlich am 24. Dezember gefeiert werden sollte?
Wie kann man seiner (dem „Heiland“) „nicht würdig sein“ wenn man Vater und Mutter mehr liebt, obwohl dies doch bereits bei Moses im 4. Gebot verlangt wird: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird. “ (2. Mose 20,12)
Ja, wer die Bibel wörtlich nimmt, der wird sich in Widersprüchen verstricken.
Und was hat „ehren“ eigentlich mit „lieben“ zu tun? Wenn ich meinen Partner „liebe“, „ehre“ ich ihn dann auch automatisch?
„Ehre“ hat in erster Linie etwas mit Ehrfucht und Respekt zu tun, und nicht etwa mit Anerkennung einer bewundernswerten Leistung. Letzteres scheint sich aber in unserer Leistungsgesellschaft durchgesetzt zu haben. Sind Ehrfurcht und Respekt nicht eher auch Eigenschaften gelebter Menschenwürde, also verbriefte Rechte eines jeden Menschen, ja sogar jeder Kreatur?
Wie sieht es mit den Tieren und Pflanzen aus, mit unserer Umwelt? Zeigen wir da Ehrfurcht und Respekt, wenn wir mit unserer Ich-Zentriertheit alles Niedertrampeln in den Bergen und Wäldern, mit unseren Bewegungsartefakten das Klima zerstören, nur um unserer Erlebnisflucht zu fröhnen, die den langweiligen, nichstsagenden Alltag vergessen machen soll?
Nicht würdig ist man dem „Heiland“ - oder sollte ich sagen: dem eigenen Ebenbild des wahren Menschen - wenn man sich hinter Scheinbeziehungen versteckt, Beziehungen, über die man sich nicht wirklich Gedanken und Gefühle gemacht hat, sondern die schlicht einer Gewohnheit folgen.
Treffen sich dann an Weihnachten plötzlich Gewohnheiten und verschüttetes, wahres Menschsein, dann geschieht genau das: das „Schwert“ wurde durch den „Heiland“ gebracht um zu heilen.
Gewaltsame Szenen sind unangenehm, man möchte sie natürlich vermeiden: „Friede, Freude, Eierkuchen“! Unterschwellige Gewalt ob des oft nicht eingestandenen Versagens an der eignen, wahren Menschlichkeit tritt ans Tageslicht und treibt ihr Unwesen mit geheimen oder offenen Vorwürfen an das Gegenüber, das zur willkommenen Projektionsfläche wird.
Selbstreflektion Fehlanzeige.
Sehnsucht und Hoffnung haben Grundbedingungen: Selbstreflektion, Vergebung und Versöhnung - andernfalls werden sie bitterlich enttäuscht.
So kann man abermals lernen, das Drohungen und Strafen in den Heiligen Schriften eher Beschreibungen der Wirkungen sind, die eintreten, wenn man sich selbst als Mensch verfehlt. „Jesus“ war konzeptionell nicht als Ausnahmeerscheinung der Menschheit gemeint, er war als Prototyp gedacht, dem alle nachfolgen sollten. Stattdessen findet Anbetung statt! Ein historisches Ereignis und unser Glaube an es soll uns retten, wirklich? Mir ist bewußt, dass nachfolgende Thesen nicht kirchenverträglich sind, wenn nicht gar ketzerisch.
Rettet mich ein Glaube, ein „Gottessohn“ sei exklusiv auch für mich gestorben um meine Sünden (Selbstverfehlungen) zu vergeben, oder rettet mich eher, selber meine eigenen Selbstverfehlungen in Augenschein zu nehmen und entsprechend zu handeln statt an ein stellvertretendes Opfer eines Ausnahmemenschen und Gottessohnes zu glauben, wie es christliche Kirchen lehren?
„Ein jeder nehme sein Kreuz auf sich“ bedeutet ebendies: jeder muss für sich selbst und höchstpersönlich sein falsches Menschsein kreuzigen und sterben lassen um neu geboren zu werden, um ein „Gottessohn“ gleich wie jener Jesus zu werden, der im Jahre Null der Christenheit geboren wurde. Stellvertretung geht nicht, weder durch Priester noch durch Religionsstifter - Eigenverantwortung in Denken, Fühlen und Tun ist angesagt.
Erst wenn eine signifikante Anzahl Menschen diese Selbsreflektion und Eigenarbeit jenseits von Macht- und Wohlstandsbestrebungen erreicht hat, können „Schwerter zu Pflugscharen“ werden. Und an jenem Tage werden sich auch die weihnachtlichen Sehnsüchte und Hoffnungen aller erfüllen.
Ich wünsche allen meinen Lesern ein gesegnetes Weihnachtfest, erfüllt von Selbsreflektion und Rücknahme aller Projektionen in Form von Vorwürfen und Anschuldigungen. Einsicht, Verständnis und Vergebung mögen herrschen statt Ignoranz, Verblendung und Feindseligkeit.
Kommentar schreiben