Als ich in der Mitte der 70er Jahren per Zufall neben der damals für mich wichtigen Jazzgitarre zur Trompete motiviert wurde (die Umstände hatte ich hier bereits beschrieben), waren gerade LPs vor allem eines Hochtonartisten in den Jazz Regalen der Musikgeschäfte: Maynard Ferguson.
Man kann fragen, warum gerade ein Hochtonartist meine Aufmerksamkeit erhielt. Wie sich mir später erst über einschlägige Foren erschloss, war ich hier wohl nicht einzigartig in meinem Interesse: das Spielen im hohen Register ist ein Thema bei allen Trompetern, ob sie es zugeben wollen oder eben nicht. Wenn nicht, wirf oft aus der Not eine Tugend gemacht und man argumentiert, dass es ja mehr um musikalische Fähigkeiten ginge als um Auslotung der Grenzen eines Instruments.
Nun, Maynard Ferguson war wohl einer der ganz wenigen, die ihre Musikalität locker auch ins hohe Register der Trompete ausweiten konnten. Eine menschliche Ausnahme? Ja und Nein.
Ja, weil bei einem Menschen mehrere Talente zusammenfallen können: musikalische und technisch-physische.
Nein, weil man Trompete auch dann auftrittsreif spielen kann, obwohl man vieles noch falsch macht. Die Fehler schlagen sich in Ausdauer und mangelnder Höhe nieder, ramponieren ggf. die Lippen bei zuviel gequetsche mit dem Mundstück usw.. Das bedeutet gleichzeitig: man kann durch Wissen und achtsames Üben viel mehr erreichen, als man denkt. Und indem man seine Vorbilder analysiert und ernst nimmt.
Nur wenige Top-Trompeter wissen genau, wie sie das machen, was sie können. Ein sehr guter Trompeter kann ein ganz schlechter Lehrer sein. Maynard jedenfalls hat immer wieder in „Clinics“ darauf hingewiesen, was seine Hauptpunkte sind: spezielles Mundstück, das durch seine innen abgerundete Geometrie die Lippen schont und sie gleichzeitig bei korrekter Entspannung durch die Trichterform des Kessels zu einer flexiblen Lippenöffnung anleitet: große, weite Öffnung für tiefe Töne, kleine, enge Öfnung für hohe Töne. Und natürlich die Atmung aus dem Hara, oder er nannte es auch Yoga-Atmung.
Doch das habe ich hier alles bereits im Detail beschrieben. Ich möchte heute mehr auf sein Leben und die Umstände eingehen, insbesondere das weniger bekannte Ende der 60er und Anfang der 70er in Europa.
Maynard wurde in Montreal/Kannada geboren und wurde bald von Big-Bands entdeckt, die seinen Weg in die USA ebneten. Insbesondere Stan Kennton nutze seine Fähigkeiten für spektakuläre, solistische Höhenausflüge in seiner Band als Showeinlagen. Doch es wurde mit dem Vormarsch des Rocknroll und den Beatles in den USA deutlich ruhiger um die Bands der Bigband Musik und dem Jazz. Die elektrisierte Gitarre bestimmte fortan in kleinen Rock-Band Vormationen das musikalische Geschehen.
Maynard fand sein Auskommen in den 50ern daher u.a. als Firstcall Trompeter in der Filmindustrie Hollywoods. Bald führte ihn sein Weg mit seiner Frau Floh aber nach New York, wo der Jazz in einschlägigen Clubs noch Beachtung fand. Dort lernte er u.a. Temothy Leary kennen, den Psychologen und Schriftsteller, der mit Drogen wie LSD experimentiert. Maynard und Floh waren bereits mit indischen Meditationsformen unterwegs.
Bei Timothy fanden sie mit ihren Kindern zeitweise auch 1962 Unterschlupf in seinem Anwesen in Millbrook, indem sich viele Psychologen und Prominente damals versammelten.
Mitte/Ende der 60er, John F. und Robert Kennedy und Martin Luther King wurden ermordet und Maynard erhielt ein Angebot nach Europa mit einer Anglo-amerikansichen Band dort zu spielen. Dies war der Beginn seiner fruchtbaren geschäftlichen und persönlichen Beziehung zu Ernie Garside in Manchester, wo er erste Clubauftritte mit ansässigen Musikern absolvierte.
Im Manchesters Club 43 erfolgten einige Veranstaltungen die sich bald auch auf das kontinentale Europa ausdehnten. Maynards Familie hatte nach wie vor die Absicht, nach Indien zu gelangen, doch es gab Visa-Probleme vermutlich auch wegen Steuerproblemen in den USA.
Die Musikerszene in England, insbesondere um Manchester rekrutierte sich aus Musikern, die ihren Lebensunterhalt nicht nur durch Musik machen verdienten. Jack Bell z.B., mit dem Maynard eine Firmas gründete - F.B.L Ferguson Bell Limited - fand sein Auskommen im Taxiunternehmen seines Vaters, genoß aber eine gute Reputation auch als Trompeter. Ernie Garside selbst spielte auch Trompete und wurde von Maynard in seinen Bands ebenfalls integriert. Maynard hatte alle Arrangements aus USA mitgenommen und mit diesen lokalen Musikern eine beeindruckende Band zusammengestellt. Man hat das Repertoiere ergänzt um damals gängige Pop-Hits und Evergreens wie „Maria“, „Somewhere“, „Sound of Silence“, ‚My Sweet Lord“, „Bridge Over Troubled Water“, „Aquarius“ usw…
Doch zurück zu Jack Bell. Das sogenannte FBL-Mundstück, welches er mit Maynard vermarktete, ebenso wie die damals neue „Liberator“ Trompete, beides wohl von Bosey & Hawkes/Besson hergestellt, gestaltete sich leider nicht als Erfolg.
Nebenbei möchte ich bemerkten, dass ich 4 Mundstücke über eBay erwerben konnte, zwei für Kornett und zwei für Trompete. Sie sind sehr selten und tragen den vollständigen Schritzug „Maynard Ferguson“. In eBay wurden teils Preise über 300,- USD erzielt, vorallem amerikanische Interessenten waren aktiv. Übrigens hält sich im US-amerikanischen Forum „Trumpet Herald“ hartnäckig die Meinung, es gäbe drei Varianten: TM (Trumpet Medium), TD (Trumpet Deep) und „unmarked“, letzteres sei das persönliche von Maynard gewesen. Diese FBL „unmarked“ gab es tatsächlich, ich habe eine Kornett Variante (dort sind die Gravuren CM, CD für Medium und Deep gebräuchlich). Mein Vergleich mit dem unmarked und einem CM erbrachte keine Unterschiede. Bestätigt wurde das von einem Trompeter in USA, dessen Bekannter bei Maynards Band in England mitspielte und von Ihm persönlich ein „unmarked“ geschenkt bekam, und der später über eBay ein TM als Ersatz erwarb - beide sind identisch. Von anderer Seite wurde auch bestätigt, dass es nur diese zwei Größen gab: TM und TD.
Doch zurück zur Geschichte rund um Jack Bell.
Er war also kein Mundstücksfabrikant, wie oft angenommen, sondern Taxifahrer und Bandmitglied bei Maynard, mit dem er diese Mundstücke verkaufte:
Announcement Crescendo Magazine March 1967:
Anzeigentext:
„Invest for a lifetime in a
MAYNARD FERGUSON mouthpiece.
Designed and used by M.F. to give more range, power, endurance, comfort and control. All this plus the right sound. Models for trumpet, cornet and flugelhorn.
SEE YOUR DEALER NOW
Trade enquiries only to:
FERGUSON, BELL LTD.
(Directors:Jack Bell managing, Maynard Ferguson technical)
P.O. Box 343, Piece Hall Yard, Kirkgate, Bradford I, Yorks.“
Für alle, die sich für Maynard während seiner Zeit in Großbritannien in Bezug auf die FBL-Sachen interessieren, möchte ich einige Informationen weitergeben, die ich während meiner privaten Recherche gesammelt habe:
Bekanntlich wurde Maynard in dieser Zeit hauptsächlich von Ernie Garside begleitet, der zu dieser Zeit einen Musikclub namens „Club 43“ in Manchester/Großbritannien leitete. Viele berühmte amerikanische Musiker hatten dort Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre Auftritte.
Garside war auch Trompeter und ist später im Jahr 1974 in einigen YouTube-Clips wie „At the Top“ (USA) zu sehen (zusammen mit
Lynn Nicholson).
Garside ist vielleicht auch als Teil des Labels „Sleepy Night Records“ bekannt, das die „Lost Tapes“-Bände 1-3 anbietet, die viele bisher nicht mit Maynard veröffentlichte Titel enthalten, von denen einige mit einfacher analoger Technik in diesem Club aufgenommen wurden .
Da ich einige FBL-Mundstücke von einer Dame in Großbritannien bekommen habe, die sie bei eBay angeboten hat, bin ich daran interessiert, die Umstände über Maynard, Jack Bell und ihr Geschäft mit der Herstellung der FBL-Mundstücke und der Liberator-Trompete aufzuklären.
Da die Dame, die dieses Zeug bei eBay anbietet, mit ihrem Mann in zweiter Ehe verheiratet ist und er in erster Ehe mit einer Tochter aus Jack Bells erster Ehe verheiratet war, haben wir per E-Mail einige interessante Gespräche zu diesem Thema geführt. Jack trennte sich von seiner ersten Frau und heiratete erneut eine Dame, die vor Jack starb und ihn in widrigen Verhältnissen zurückließ. Es handelte sich um einen verwahrlosten Haushalt,
in dem bei einer Hausräumung viele unverkaufte FBL-Mundstücke gefunden wurden. Ein Teil wurde von Mannings Musical UK (hauptsächlich FBL TD) und von der Lady auf eBay angeboten (FBL TM).
Jack Bell war kein echter Mundstück-Handwerker, wie oft behauptet wird, aber er war auch ein bekannter Trompeter in der Gegend von Manchester. Natürlich war dies nicht sein einziger Job: Er war auch Taxifahrer im Unternehmen seines Vaters. Denn Mr. Garside versammelte zu dieser Zeit einige Musiker in der Gegend von Manchester zu einer Big-Band-Probe im Club 43 Jack gehörte sicherlich zu den frühen Bands mit Maynard an der Spitze.
Das Mundstück- und Trompetengeschäft verlief nicht wie erwartet und Jack investierte später mit größerem Erfolg in die Herstellung von Trommelstöcken, wie sie z.B. der Schlagzeuger von Led Zeppelin (Bonham) verwendete.
Zusammen mit der folgenden Aussage von Herrn Garside wird deutlich, dass das FBL-Mundstückgeschäft zwischen Maynard und Jack Anfang 1967 begann, Zitat:
„1967 hatte ich Maynard für einen Soloauftritt in meinem Club 43 in Manchester gebucht, die Tickets ausdrucken lassen und alles, aber er erschien nicht“, erinnert sich der Trompeter Ernie Garside:
„Ohne Maynards Verschulden wurde er nicht über die Buchung informiert. Als er später nach Manchester kam, um Werbung für ein neues Mundstück zu machen, erzählte ich ihm von der Buchung und er war verstört. Er bot sofort an, für die nächste Woche im Club zu spielen, um das wieder gut zumachen. Er war in einem alten Wohnwagen unterwegs und ich half ihm beim Ausladen. Es gab viele Glasfaserkisten, die, wie sich herausstellte, die Musikbibliothek für seine Big Bands enthielten. Ich hatte eine 12-köpfige Probe Band, die sich am Sonntagnachmittag traf, und ich fragte ihn, ob ich mir ein paar Charts für diesen Sonntag ausleihen könnte. Er kam zur Probe und war so erfreut, dass wir die Band in den Club holten, um hinter ihm zu spielen. Es lief so gut für uns Wir umarmten uns und er beschloss, in Manchester zu bleiben und die Band als seine eigene zu leiten. Da er Kanadier war, unterlag er nicht den Beschränkungen des Arbeitsministeriums für amerikanische Musiker.“
Zitat Ende.
Ein anderer Taxifahrer in Manchester - George Bastrow - bestätigt dies:
„In dieser Funktion war er (Bastrow) eng mit einem anderen Taxifahrer aus Bradford verbunden, Jack Bell, der einst stellvertretender Vorsitzender der National Federation of Taxicab Associations war.
Jack, der in den 1940er Jahren zunächst die Taxis seines Vaters fuhr, war früher als „Spam“ bekannt, weil er eine Vorliebe für die Spam-Krapfen hatte, die im Café in der Union Street erhältlich waren, wo viele Taxifahrer aßen. Bis zu seinem Tod im Dezember 2000 in einem Wohnwagen in den Vereinigten Staaten war er mit dem Taxihandel verbunden. Sein Leichnam wurde zu einer Beerdigung in der Tong-Kirche nach Großbritannien zurückgeflogen, bei der der Sohn des Pfarrers freiwillig Trompete spielte.
Das war sehr passend, denn Taxifahren war nur einer von Jacks Jobs. Er war auch ein bekannter Jazz-Trompeter (einst spielte er in der Villa Marina auf der Isle of Man mit Gordon Tetley, der eine Woche zuvor starb).
In der Welt des Jazz lernte er den gefeierten Trompeterkollegen Maynard Ferguson kennen, der zu dieser Zeit in der Stan Kenton Band spielte.
Georg Bastow erzählt mir: „Bell und Ferguson gründeten eine Firma, die Mundstücke für Trompeten herstellte. Sie vermarkteten auch eine Trompete namens The Liberator. Das Trompetenprojekt war nicht sehr erfolgreich, aber überall, wo er hinkam, sagte man Jack, dass es eine große Nachfrage nach Trommelstöcken gebe.“
Zitat Ende.
Maynard war über seine gesamte Karriere sehr unterstützend, was seine Bandkollegen und Freunde anbetrifft. Er nannte seine Bands immer seine Familie. Man sieht auch, dass er sich nie zu schade war, im „unprofessionellen“ Kontext aufzutreten, im Gegenteil: er machte es dann professionell.
Seine spirituelle Ausrichtung mündete später in den 90ern in einer tiefen Beziehung mit seinem Guru Sathya Sai Baba:
Er stattete dort immer wieder Besuche ab und trat mit seiner Band bei Darbietungen auf und engagierte sich örtlich im Kulturaustausch.
In Europa wurden seine Konzerte mit der „Dreamband“ in Prag und Wien 1967/68 zu Meilensteinen seiner Karriere - aus meiner Sicht! Sie können in YouTube gefunden werden.
Kommentar schreiben