„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“ (Friedrich Schiller, Wilhelm Tell).
Schiller zeigt mit seinem Werk, dass jeder Mensch das Recht hat, frei zu sein und dafür Widerstand zu leisten. Das ist typisch für die Epoche der Weimarer Klassik , die sich auf die Freiheit und Menschlichkeit bezieht.
Und wie geschieht uns gerade, die wir doch alle Frieden wünschen, wenn wir in die Ukraine und nach Israel schauen? Die „bösen Nachbarn“ Russland und Hamas verfolgen Ziele, die offensichtlich nicht von Friedenssehnsucht geprägt sind - oder sieht das jemand anders?
Freilich, man kann immer wieder auf die beliebte, psychologische Argumentation zurückgreifen: warum wird man überhaupt zum „bösen Nachbarn“? Genau dann nämlich, wenn man sich selbst verletzt und traumatisiert fühlt, durch die sogenannten „guten Nachbarn“ und sich doch nur noch zu wehren vermag durch aggressive, militärische Angriffe, sprich durch Gewalt.
Es mag immer wieder auch berechtigte Interessen geben, deren mutmaßliche Verweigerung durch andere einen derart traumatisieren, dass man sich mit Gewalt Gehör verschaffen zu müssen glaubt. Doch die Psychologie des Individuums unterscheidet sich etwas von jener der Kollektive.
Ja, der Westen, die USA und die NATO haben Fehler gegenüber Russland begangen, Israel hat Fehler gegenüber den Palästinensern begangen. Aber rechtfertigen diese Fehler das brutale, menschenverachtende Vorgehen Putins und der Hamas?
Natürlich werden die ewig Verständigen in unseren Reihen wie immer vehement unterscheiden zwischen „Verurteilung“ und „Verständnis“ - wie z.B. Sahra Wagenknecht, die erneut nach Berlin geladen hatte, um für den Frieden und diplomatischer Beilegung der Konflikte zu demonstrieren. Unter dem Titel „Nein zu Kriegen – Rüstungswahnsinn stoppen – Zukunft friedlich und gerecht gestalten“ möchte man fast zwei Jahre nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine erneut die Stimme erheben und nicht wenige aus Kirche, Politik und gesellschaftlichem Leben werden sich anschließen.
Man kann in die Kirche gehen und für den Frieden beten, oder an Demos für den Frieden teilnehmen, um das eigene Bedürfnis nach Frieden auszudrücken, fragt sich nur gegenüber wem und mit welchem Plan?
Nun, „Gott“ wäre in der Kirche wohl der adäquate Ansprechpartner, um IHN zu veranlassen, die Menschen mögen doch endlich vernünftig werden: „Herr, lass Hirn regnen“ wäre man geneigt zu beten. Die Demonstration einer Sahra Wagenknecht hat sicher andere Ansprechpartner im Sinne, aber welche eigentlich? Herrn Putin sicherlich nicht, wohl eher Herrn Scholz, denn man will sich ja schließlich in Berlin versammeln und nicht in Moskau.
Aber ebenso, wie ich nicht an einen „Gott im Himmel“ glauben möchte, den ich durch beten für meine eigenen Belange überreden könnte, ebenso wenig glaube ich, dass Frau Wagenknecht und ihre Friedensbekunder einen Herrn Putin mit ihren Plänen beeindrucken werden - er wird sich im Gegenteil abermals an der Naivität und Berechenbarkeit des Westens und seinen edelhumanistischen Wohlstandsbürgern belustigen, die wie eine treue Herde von Schafen brav seinen Weltplänen folgen: eine neue Weltordnung, aber bitte ohne die bisherigen Werte der Aufklärung: Menschen- und Bürgerrechte, die Garantie, dass alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, Anspruch auf Gleichbehandlung und individuelle Freiheit haben: Solche universellen Werte gelten als zentrale Errungenschaften der Philosophie der Aufklärung.
Schaut man nach Russland und der dortigen Ausrichtung gesellschaftlichen Lebens, sehen wir die Werte, die unsere dann nach und nach ersetzen sollen. Aber, man kann ja immer verhandeln! Ja, man kann, fragt sich bloß, über was.
Wann begreifen unsere Pazifisten endlich, dass Humanismus für Putin eine dekadente Schwäche bedeutet und das Staatsführung nicht über demokratische Diskussionen der Bürger erfolgt, sondern über klare Anweisungen eines Führers, der weiß wo es lang geht. Kann es bei solchen Gesprächspartnern zu Verhandlungen auf Augenhöhe kommen? Interessen- statt wertebasierende Verhandlungen? „Du gibst mir diese und jene Gebiete der Ukraine, und ich gebe dir wieder billiges, russisches Gas und Öl“?
Und wenn westliche Dekadenz dann einen Donald Trump in den USA im nächsten Jahr wieder zum Präsidenten wählt, dann ist es um die NATO und ihrem Beistandspakt eh geschehen….dann kann Putin seinen stalinistischen Großmachtsphantasien weiter folgen, Stück für Stück, Land um Land…..wo werden sich dann die Pazifisten um eine Sahra Wagenknecht versammeln?
Gibt es also eine Alternative zu Aufrüstung und Wettrüsten? Es gibt sie, aber die Zeit ist ungünstig, denn der Trend der Menschheit wandelt sich gerade von Demokratien hin zu Autokratien. Da werden Humanismus und Frieden zu Luxusgütern….leider!
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