Nachdem ich zwei interessante Vorträge in YouTube verinnerlicht habe, möchte ich die dort geäußerten Fakten und Denkanstöße unbedingt teilen und weiterführen.
Einmal eine Diskussion von Prof. Ulrike Guérot, dem Moderator Uwe Alschner und dem Publizisten Patrik Baab im Rahmen einer Veranstaltung des Westendverlages :“Richtung einer Europäischen Friedensordnung mit Russland: Ist es möglich?“ und ein Vortrag von Prof Dr Gabriele Krone-Schmalz: „Ist gemeinsame Sicherheit mit Russland möglich?“.
Die beiden Veranstaltungen machen den Versuch, vor dem Hintergrund des brutalen Überfallkrieges Putins auf die Ukraine und der damit einhergehenden Bedrohung auch der europäischen Demokratien, sachlich einmal auch über die Beziehungen der USA mit Europa, den amerikanischen Interessen im Allgemeinen und der europäischen Zerstrittenheit im Besonderen nachzudenken.
Eben wurde bekannt, dass der republikanische Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses McCarthy auf Initiative einiger ultrakonversativen Republikaner abgesetzt wurde und somit das Repräsentantenhaus nun bis zur Wahl eines Nachfolgers handlungsunfähig ist. McCarthy hatte gerade mit demokratischen Stimmen einen Notübergangshaushalt verabschiedet, um den Staatsbetrieb in den USA noch aufrecht erhalten zu können. Dabei wurden Gelder für die Ukraine zwar ausgeklammert, aber es gab wohl diesbezüglich eine Absprache mit dem demokratischen Präsidenten Biden, hierfür Mittel nachträglich einzustellen. Das brachte McCarthys Hardlinerkollegen unter den Republikanern wohl auf den Plan.
Das republikanische Lager der Trump-Fanatiker scheint also Oberhand zu gewinnen und damit sieht es für eine weitere Ukraineunterstützung durch die USA in Zukunft nicht so rosig aus.
Dem steht ein Europa gegenüber, dass gerade einen Brexit verkraften musste, dass außer einer Wirtschafts- und Geldunion noch keine wirklich politische, demokratische Einheit errungen hat (keine Verfassung!), und in dem die beteiligten Nationalstaaten teilweise Widerstand gegen die Politik der EU-Kommission leisten, und in denen sich immer mehr rechter Pupulismus verbreitet.
Mit Ursula von der Leyen ist bei der EU eine USA hörige Vertreterin im Amt und auch Olaf Scholz orientiert sich schwerpunktmäßig am großen Bruder über dem Atlantik bei beinahe jeder Frage der konkreten Realisierung seines Versprechens zur Zeitenwende: Kampfpanzer, Kampfjets, Marschflugkörper gibt es nur, wenn die USA dies auch bereits liefert. Scholz hat jüngst bei der EPG Präsident Selenskij die Lieferung deutscher Taurus Marschflugkörper aus fadenscheinigen Gründen abermals verwehrt - in der aktuellen militärischen Lage der Ukraine ist dies in meinen Augen eine unterlassend Hilfeleistung vor den Augen der tapfer sich verteidigenden Ukrainer und der westlichen Unterstützerstaaten, die solches Gerät bereits liefern. Taurus wäre bezüglich der Krim ein Gamechanger zur Unterbindung des russischen Nachschubs und damit ein echter Verhandlungshebel, den russischen Aggressor Putin empfindlich zu treffen und an den Verhandlungstisch zu zwingen: den Verlust der Krim könte er weder seinem eigenen, ständig belogenen Volk mit weiterer gegen den Westen gerichteter Bedrohungs- und Vernichtungspropaganda verkaufen, noch seinen kriegstreiberischen Oligarchen-Freunden im Kreml. Da ist ein weiteres Patriot System, das Herr Scholz liefern möchte, eine fade Gewissensberuhigung.
In dieser Gemengelage ist es aber berechtigt, auch nochmal über die Hintergründe der Ost-West Problematik in Europa nachzudenken. Vielleicht will Herr Scholz ja auch deshalb in alter SPD Manier die Türe zu Russland offen halten mit seinem ständigen Zögern und auf die USA warten, aber das geht eben leider auf Kosten täglich sterbender Ukrainer.
Mit Zerfall der UdSSR ist sicherlich das Fortbestehen der NATO in alter Form und Intension ein Fehler gewesen und die angestrebte Europapolitik unter Einbeziehung Russlands sicher kein grundsätzlicher Fehler - im Gegenteil. Ohne Russland wird es in Europa keinen Frieden mehr geben und wer hätte eigentlich damals gedacht, dass die Berliner Mauer mal fallen würde?
Leider sind die Ideen eines geeinten politischen Europas ziemlich auf der Strecke geblieben, u.a. eine neue Sicherheitsarchitektur.
Die EU verhedderte sich in der aus den USA importierten, kapitalistischen Bankenkrise, während bei der Maidan-Revolution in der Ukraine überkommene, ethnische Problematiken nicht aufgearbeitet wurden.
2008 wurde zwischen der EU und der Ukraine ein Assoziierungsabkommen vorbereitet und 2013 zunächst vom demokratisch gewählten Präsidenten Janukowitsch auf Druck von Russland abgelehnt, was zum Maidan-Aufstand führte.
Manche behaupten, die USA hat den Maidan-Aufstand verursacht oder zumindest unterstützt, um Russland freundliche Bestrebungen in der Ukraine zu unterbinden. Tatsache aber ist auch, dass nach dem 1. Weltkrieg kurzzeitig zwei ukrainische Staaten existierten:
- Die Ukrainische Volksrepublik von 1917-1921 (auch Sowjetukraine genannt), die durch die Oktoberrevolution aus dem russischen Kaiserreich entstand, mit Kiew als Hauptstadt und
- die Westukrainische Volksrepublik 1918-1919 bestehend aus Ostgalazien, Nord-Bukowina und Transkarpatien mit Sitz Lwiw. Ihr wurden nationalistische Tendenzen nachgesagt.
Die Ethnien der Ukraine waren also immer sehr gemischt. Seit 1991 ist sie aber als ganzes unabhängig und auch heute stehen über 90% der Bevölkerung für diese Unabhängigkeit und Orientierung Richtung westlicher Demokratie und Europa.
Zudem hat die NATO seit 1997 mit der NATO-Ukraine Charta Beziehungen zur Ukraine aufgenommen, allerdings ebenso wie mit Russland in der NATO-Russland Akte! Letzteres wird von Putinverstehern gerne verschwiegen, ersteres wird von jenen als imperialistischen Einmischung der USA interpretiert, denn man hat schließlich im Rahmen der Charta begonnen, auch die ukrainische Armee bereits aufzubauen und zu unterstützen.
Beim NATO-Gipfel 2008 in Bukarest bekamen die Ukraine und Georgien eine NATO-Beitrittsperspektive. Man wollte mit der NATO zusammenarbeiten aber blockfrei bleiben! Mit der Annektion der Krim durch Russland allerdings änderte sich das alles gehörig.
Also: ganz so feindselig wie der Kreml und seine Fürsprecher im Westen tun war die NATO nicht, umgekehrt hat aber der Kreml die Krim vereinnahmt und damit militärische Kontrolle über das Schwarze Meer erhalten.
Aber zurück zur Perspektive für die Zukunft.
Im Oktober 2022 wurde unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine die EPG (Europäische Politische Gemeinschaft, EPC) gegründet, um endlich auch in den Bereichen Politik, Sicherheit, Energie, Verkehr, Investitionen, Infrastruktur und Personenverkehr zusammenarbeiten. Sie hat keinerlei Bezug zur EU oder dem Europarat, greift aber die ursprünglichen Ziele auf, die zur Europabewegung führten. Die 27 EU-Staaten sind dort aber ebenfalls dabei.
Am 5. Oktober 2023 trafen sich ca. 50 Vertreter europäischer und vorderasiatischer Regierungen zum EPG-Gipfel - nicht eingeladen waren Belarus und Russland. Manche sprechen von einer Anti-Putin Front - es ist ihnen angesichts des Krieges in der Ukraine aber nicht zu verdenken.
Gleichwohl stellt sich nochmals die Frage, ob ohne Russland ein dauerhafter Frieden in Europa überhaupt möglich ist. Wohl eher nicht. Aber ist er ohne Putin möglich? Das scheint mir die zentrale Frage zu sein, und die EPG erscheint mir das Gesprächsformat zu sein, das unabhängig von NATO und UN geeignet wäre, eine neue europäische Sicherheitsarchitektur zu entwerfen, die auf die USA verzichten kann und muss. Europa muss nun endlich erwachsen werden.
Hier könnten der Ukraine dann echte Sicherheitsgarantien gegeben werden, denn zwei Mitglieder - Frankreich und Großbritannien verfügen auch über atomares Abschreckungspotential. In Verhandlungen mit Russland, erzwungen durch noch ausstehende ukrainische Erfolge auf der Krim, könnte dann eine zukünftige, militärische Bündnisneutralität der Ukraine (kein NATO Beitritt) Putin gesichtswahrend am Verhandlungstisch angeboten werden, oder besser noch - ohne Putin versteht sich - eine Integrationsperspektive Russlands in die EPG.
Die USA haben kein echtes Interesse an Europa (außer ihr Frackinggas zu verkaufen) und konzentrieren sich eher auf ihren Gegner China. Die EPG könnte globalpolitisch auch hinsichtlich der BRICS Bewegung ein neues „Zünglein an der Waage“ werden, und ein Signal für Afrika, Indien und Südamerika implementieren.
Die Transatlantikorientierung jedenfalls nähert sich ihrem Ende und ein starkes Europa tut Not. Allein der wachsende, rechte Populismus ewig gestriger Staatschefs in Europa, die immer noch an die Macht nationalstaatlicher Prinzipien glauben, lässt mich zweifeln, dass dies alles zügig von statten geht.
Hier das komplexe Europagebilde:
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