Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat eine neue Studie zu rechtsextremen und demokratiegefährdenden Einstellungen in Deutschland vorgestellt: „Die distanzierte Mitte“. Ein Forschungsteam um die Konfliktforscher Andreas Zick und Beate Küpper komt zu erschreckenden Ergebnissen: nach der Mitte-Studie ist der Anteil der Menschen, die ein „manifest rechtsextremes Weltbild“ haben deutlich von 3 Prozent auf 8 Prozent seit der letzten Erhebung gestiegen. 6 Prozent der Befragten befürworten gar eine Diktatur mit einer starken Partei und einem Führer. Grundwerte wie Würde und Gleichheit werden seit 2019 nicht mehr zu 93 sondern nur noch zu 87 Prozent geteilt. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist um 10 Prozent gesunken.
In Zeiten multibler Krisen - Pandemie, Inflation, Klimakrise, Ukraine-Krieg - nimmt die Zahl derjenigen zu, die nach starker Führung rufen und die etablierten Institutionen Versagen und Unfähigkeit vorwerfen. Vielleicht eine Art Projektion?
Nach Jahrzehnten einer behaglichen Wohlstandsdecke durch billige Energie, hemmungslosen Wachstums und Konsums, klopft bei vielen in Deutschland wieder etwas an, was längst verdrängt und vergessen wurde: Leben ist Wandel und Wandel macht Angst - letzteres mündet ein in die bekannten Parolen aller derzeitigen Populisten, die sich gegen das etablierte System wenden: Migration führt zur Überfremdung, Globalisierung macht abhängig, Demokratie ist zuviel Diskussion.
Wie das eben so ist: auch in plumpen, undifferenzierten Parolen steckt ein Fünkchen Wahrheit - aber eben nur ein „Fünkchen“! Brauchen „Fünkchen“ aber dann „Brandmauern“?
Obige Studie kommt zu dem berechtigten Schluss: „wehret den Anfängen“ und man spricht darin bereits von einem Kipppunkt. Wir brauchen in unserer Geschichte nicht weit zurückzublicken um erkennen zu können, wo das hinführen kann.
Uns überfordern die derzeitigen Krisen, aber offensichtlich auch die Demokratie selbst: Bürokratismus ist eine direkte Folge von demokratischen Interessenabwägungen: Windräder werden aus Gründen der Vermeidung von CO2 Emission vom Bund beschlossen, und sie werden vor Ort, vor der eigenen Haustüre quasi in den Gemeinden, von eben jenen Bürger dann konkret wieder abgelehnt - heiliger St.Florian, verschon’ mein Haus, zünd‘ andere an.
Nun, dass sei eben die menschliche Natur, mag man einwenden, und diese kann nur durch Zwang belehrt werden. Ist das so?
Es ist fraglich, ob diejenigen, die nun nach einer starken Hand rufen, später dann das durch staatlichen Zwang verordnete Windrad besser akzeptieren werden - nein, sie werden dann gleich den ganzen „Öko-Quatsch“ in Frage stellen und wieder nach Kernenergie rufen. Dass ihresgleichen dann aber auch gegen den Bau von Kernkraftwerken und Endlagern vor der eigenen Haustüre widersprechen werden, dürfte auch klar sein. Aber auch hier kann ja staatlicher Zwang helfen, z.B. durch eine „starke Hand“?
Unser Problem gerade ist aber nicht die Angst und Sorge um unser Wohl, um unseren Wohlstand, oder der Möglichkeit der Überfremdung durch Flüchtlinge, oder die Furcht vor der Möglichkeit eines Dritten Weltkrieges oder einer atomaren Zerstörung, wie uns gerade einige einreden möchten, die ideologisch einen wehrlosen und bedingungslosen Pazifismus propagieren und einem mit Waffen angegriffenen Nachbarn nicht mehr mit Waffenlieferungen zur Verteidigung seines eigenen Landes und Volkes beistehen wollen; nein: unser Problem ist der fehlende Mut und die Entschlossenheit, für unsere demokratische Ordnung einzustehen, die uns erst unsere Freiheit garantiert, an die wir uns gewöhnt haben. Gewohnheiten sind gefährlich, besonders wenn es um welche geht, die nicht selbstverständlich sind.
Ist Freiheit denn gar nichts mehr wert? Sollen wir uns lieber gängeln lassen von „einer starken Hand“, die stellvertretend für uns entscheidet, was gut für uns sein soll, nur damit wir keine Angst mehr haben müssen vor den Wandlungen und Herausforderungen des Lebens. Sollen wir uns von der Propaganda einer „starken Hand“ ideologisch einlullen lassen wie es gerade in Putins Russland geschieht, dass es doch besser sei für Mütterchen Russland zu sterben, als auf ideologisch eigene Größe und Respekt zu verzichten? Wohin haben „starke Männer“ in der Geschichte immer wieder ihre Völker geführt mit ihrer Überredungskunst, menschenverachtender Brutalität und Verblendung?
„Die da oben“ in der deutschen Bundesregierung mögen Fehler machen, aber sie folgen immerhin noch einem von uns allen demokratisch getragenen Ziel. „Die da oben“ im Kreml folgen gerade welchem Ziel? Einem Land und ehemaligen Brudervolk Ukraine ein unabhängiges Existenzrecht abzusprechen, indem man es zerbombt, ukrainische Kinder deportiert und umerzieht zu einer neuen russischen Herrenrasse? Haben wir Deutschen bereits vergessen, was sich bei uns vor ca. 80 Jahren zugetragen hat?
Müssen wir tatsächlich Angst davor haben, dass Ukrainer in deutschen Panzern russische Besatzer aus der von ihnen völkerrechtswidrig überfallenen Ukraine vertreiben, oder müssen wir nicht vielmehr befürchten, das zukünftig Willkür und das Recht der Stärkeren das Weltgeschehen wieder beherrschen werden, wenn man solcher menschenverachtenden Willkür nicht entschlossen entgegentritt - auch mit zielführenden Waffen?
Ja, „wehret den Anfängen“ oder wie Sir Winston Churchill auf unserem Foto so treffend bemerkte: „Demokratie ist die schlechteste Regierungsform - mit Ausnahme von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“
Vielleicht hilft ein Blick auf den aktuellen Bericht des UN-Menschenrechtsrates zur Lage der russischen Zivilbevölkerung unter dem „starken Mann“ Putin weiter, um wirkliche Gefahren richtig einschätzen zu können?
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