Ukrainekrieg: Was tut sich an der Front?

In der Öffentlichkeit der Unterstützerstaaten der Ukraine macht sich eine Skepsis und Kriegsmüdigkeit breit: macht es überhaupt noch Sinn, einen Krieg aufrecht zu erhalten, der nicht zu gewinnen ist? Die sogenannten Pazifisten unter den Gegnern der westlichen Waffenlieferung scheinen immer mehr Punkte zu sammeln mit ihrem Argument: stoppt das sinnlose Sterben von Menschen auf beiden Seiten. Der Haken dabei: der Aufruf geht immer nur an die westliche Seite der beiden Kontrahenten und fataler Weise nie an die Seite des Aggressors der beiden Kontrahenten - nämlich Putins Russland. Die Einwürfe der Befürworter von Waffenlieferungen machen zwar immer wieder deutlich, dass Putin einfach nur seine Aggression stoppen müsse, um das Sterben zu beenden, aber das scheint selbst den Gegnern der Waffenlieferungen so absurd zu sein, dass sie lieber auf ein Wunder der Diplomatie durch Dritte hoffen, wie zuletzt der gescheiterte Friedensentwurf Chinas.


Die Befürworter von weiteren und effektiveren Waffenlieferungen an die Ukraine hingegen argumentieren genau umgekehrt: je mehr effektivere Waffen geliefert werden, desto schneller wird das Sterben beendet, natürlich dann auch durch Diplomatie, aber eben durch eine, bei der der Aggressor Putin militärisch vorab gezwungen ist, gesichtsswahrend einzulenken. Diese Wahrscheinlichkeit ist größer, als ein irgendwie mit Dritten ausgehandelter Scheinfrieden, wie er bereits nach 2014 gescheitert ist.


Eines aber findet insgesamt in der Öffentlichkeit zu wenig statt: eine realistische, militärisch taktische Einschätzung der aktuellen Lage an der Front in der Ukraine und deren eigentlichen Ziele. Hier kann m.E. ein herausragender Analyst helfen, der regelmäßig bei „ZDFheute live“ auftritt, nicht also im Hauptabendprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, sondern im Livestream derselben: der Militärökonom und Experte Marcus Keupp.


 Die Militärökonomie hat eines im Blick: wie entwickeln sich militärische Resourcen, z.B. die Verluste von Kriegsgerät, der Nachschub und die Kampfkraft der Konfliktpartner. Marcus Keupp wird nicht müde, angesichts der als „schleppend“ bewertenden Gegenoffensive der Ukraine und der völlig falschen Erwartungen der Öffentlichkeit, wie so etwas erfolgreich aussehen müsse, darzustellen, welche zentrale Rolle die „Logistik“ im Krieg spielt: wie flexibel nämlich werden oder können militärisches Material und Kampfkräfte an der Front verschoben werden?


Herr Keupp macht auch immer wieder darauf aufmerksam, dass man die aktuelle Armee Russlands bezüglich ihrer Kampfkraft nicht mehr mit der damaligen Roten Armee der UdSSR vergleichen kann, auch wenn russische Propaganda täglich dies glauben machen will: Da wird dann ein brennender Traktor als moderner Leopard II der NATO verkauft oder derartiges mehr. Dass in den Zahlen der Militärökonomie im Schnitt Russland täglich ca. 5 Panzer verliert und diese nur durch noch ältere Modelle ersetzt werden können, verliert man dann aus den Augen.


Oft werden von Pazifisten dann auch skeptische Generäle der US-Administration zitiert, die das Argument des unsinnigen Sterben bekräftigen sollen, aber dass dieser Krieg in der Ukraine vor allem von ukrainischer Seite neu entwickelte Kriegstaktiken verwendet, von denen selbst US-Experten in ihren Kriegshandbüchern noch nichts wissen, bleibt unerwähnt: z.B. der effiziente Einsatz von Drohnen.


Was passiert also gerade realistisch an der Front in der Ukraine?


Der Ukraine ist bei Robotyne ein erster Durchbruch in Richtung Tokmak gelungen, einem Knotenpunkt für die russichen Nachschubwege, um die Südukraine zu kontrollieren. Für die breite Öffentlichkeit, die eher Kriegsszenarien aus Kriegsfilmen der Vergangenheit im Gedächtnis hat, eine scheinbar unbedeutende Tatsache. Wenn man aber weiß, dass nur ein ca. 10-15km breiter Korridor durch die russischen Linien in der besetzten Ukraine genügt, um die Südfront in zwei Teile zu spalten, um dort schweres Gerät durchzuführen, das auf ukrainischer Seite bereitsteht, ergibt sich ein anderes Bild. In diesem Falle wäre der Krieg für Putin tatsächlich strategisch verloren, was noch keine Waffenruhe bedeuten muss.


Strategisch verloren ist ein Krieg dann, wenn man sich wie 1945 die Deutschen Truppen entscheiden muss, ob man kapituliert oder bis zum letzten Mann weiter kämpfen will, wohlwissend, dass man auf der Strecke bleiben wird. Bei uns tendierte damals die deutsche Armeeführung zur Kapitulation, während der damalige Führer Adolf Hitler an seiner kranken Ideologie des erweiterten Lebensraumes krampfhaft festhielt, und bereits darüber nachsinnte, ob sein Volk es eigentlich überhaupt noch Wert sei, in seiner Ideologie noch eine tragende Rolle zu spielen.


Hier liegt m.E. der Unterschied zwischen Putin und Hitler, auch wenn es sonst einige Parallelen zu geben scheint: er wird bei einer unüberwindliche Stärke des Gegners eher zum Einlenken tendieren, wenn er seinem Volk gleichzeitig entsprechende Narrative unterbreiten kann - und seine Propagandamaschine ist auch in der Lage, ein Scheitern der militärischen Spezialoperation dennoch als Sieg gegen den Westen verkaufen zu können. Hitler hätte damals mit einer Atombombe in seinen Händen sicher ein Inferno ausgelöst, Putin aber im Schatten eines Xi Jinping und vor dem Hintergrund einer sich erweiternden Wirtschaftskraft namens BRICS wird hier anders handeln müssen.


Das, womit einige Ewiggestrigen im Kreml ständig drohen, wird gerade nicht eintreten: eine nukleare Eskalation, denn dies würde Russland auf der Welt endgültig für die Zukunft isolieren.


Doch zurück zur Strategie. Dass der Deutsche Bundeskanzler wieder einmal vor lauter Eskalationsängsten nicht erkennt, was zur Stunde strategisch gefordert ist, lässt mich erschaudern. „Wer Führung bestellt, bekomm sie bei mir“ war sein Satz, der inzwischen lächerlich anmutet. Das ständige sich Verstecken hinter Entscheidungen der USA unter dem Deckmantel der erforderlichen, internationalen Absprachen wird langsam peinlich: Zaudern statt Abwägen.


Wann wenn nicht jetzt wäre die Lieferung von deutschen Marschflugkörpern Taurus und von Gerät, diese zum Einsatz bringen zu können, erforderlich? Gerade aktuell ist es strategisch erforderlich, die Artilleriestellungen der Russen hinter der befestigten Front aufzureiben. Man hat es der russischen Armee bereits durch  monatelanges Zaudern ermöglicht, diese Hindernisse gegen die urkainischen Armee erst installieren zu können.


Ich bin selbst eigentlich Pazifist, aber keiner, der kampflos seine Werte von Freiheit und Menschlichkeit dahingibt um des lieben Friedens willen. Freiheit muss wehrhaft bleiben, da stimme ich mit unserem Ex-Bundespräsidenten Joachim Gauck überein. Hier gibt es auch keine christlich motivierten Ausflüchte wie: „was hätte Jesus denn getan?“. Der hattte nämlich die Händler im Tempel seines Vaters durch Umstürzen ihrer Warentische seinerzeit vertrieben, was seiner Bergpredigt keinen Abbruch tut.


Ich bin bei Marcus Keupp: wenn die ukrainischen Streitkräfte in Tokmak durchbrechen, bricht auch die russische Front im Süden der Ukraine zusammen, und damit auch das bisherige Narrativ des Kreml: alles was russisch spricht gehört automatisch zu uns. Dort im Süden werden sich viele ukrainische Partisanen erheben, die unter Zwang russische Pässe entgegengenommen hatten, nur um ihr Überleben noch gewährleisten zu können.


Слава Україні - Slawa Ukrajini - Hoch lebe die Ukraine!

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