Sahra Wagenknecht, die LINKE und die Zukunft der Demokratie

Natürlich wehrt sich Frau Wagenkecht gegen obiges Plakat, aber es gibt einige Punkte bei ihr, die auch von der AfD bemüht werden: Migration, EU zum Beispiel.


Aber zunächst zu Legitimation der LINKEN.


Die Abgeordneten Gregor Gysi und Gesine Lötzsch in Berlin sowie Sören Pellmann in Leipzig verteidigten ihre Direktmandate bei der Bundestagswahl 2021.


Die LINKE profitierte jedoch noch von einer Sonderregel im Wahlrecht, der sogenannten Grundmandatsklausel. Diese besagt, dass das Zweitstimmenergebnis einer Partei trotz Scheitern an der 5% Hürde auch dann berücksichtigt wird, wenn sie mindestens drei Direktmandate in Wahlkreisen gewinnt. Die LINKE kam 2021 nur auf 4,9 % und wäre ohne die bisherige Grundmandatsklausel gescheitert.


Frau Wagenknecht ist als Listenplatzierte bei den LINKEN (noch!) Nutznießerin dieser Regel: sie und 38 weitere Listenkandidat(inn)en der LINKEN verdanken ihre Mandate lediglich den drei oben genannten, tatsächlich gewählten Direktmandaten.


Mit ihrem Buch „ Die Selbstgerechten“ hat sich Frau Wagenknecht bei ihrer Partei unbeliebt gemacht und mit der Wahlrechtsreform anlässlich des aus den Nähten platzenden Deutschen Bundestages wegen Überhang- und Ausgleichsmandaten, wird dieses Schlupfloch „Grundmandatsklausel“ für die LINKE zukünftig gestopft werden.


Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali, sie löste 2019 Sahra Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende ab, hat sich wegen des Umgangs ihrer Partei mit Sahra Wagenknecht von ihrem Amt zurückgezogen und ihr Stellvertreter Dr. Dietmar Barsch möchte sich aus anderen Gründen ebenfalls nicht neu zur Wahl stellen.


Bei den Vorstandswahlen am 4. September scheint sich niemand so recht als Kanditat(in) zu finden. Die schlüssigste Lösung wäre auf den ersten Blick natürlich, wenn nun Parteichefin Janine Wissler auch den Fraktionsvorsitz übernehmen würde. Im Gegensatz zu Martin Schirdewan, mit dem sie die Partei führt, sitzt sie ja im Bundestag.


Es gibt drei Blöcke bei den LINKEN: der Wagenknechtblock (wilde 13!), die Gruppe um Janin Wissler, von dem Wagenknechtblock als die „ Bekloppten“

tituliert, und die letzte Gruppe ist die alte Garde ehemaliger PDS-Gardisten um Bartsch und Gysi. 20 Stimmen (von 39) werden für den Fraktionsvorsitz benötigt.


Die LINKE zeigt daher deutliche Auflösungserscheinungen. Frau Wagenknecht kommt nicht aus ihrer Deckung, was ihre Absicht zur Gründung einer neuen Partei betrifft. 


Einige Analysten sehen durch Wagenknecht in diesem Falle eine deutlich Schwächung der AfD, besonders in der Frage der Migration, wo sie ähniche Standpunkte vertritt, weshalb der rechtsradikale Höcke sie zum Überlauf in die AfD überreden wollte.


Die Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner von der Universität Mannheim hat das Phänomen Wagenknecht untersucht. Wagner hat herausgefunden, dass Wagenknecht unter AfD-Anhängern in der Tat ähnlich populär ist wie die AfD-Führung:


"Nichtsdestotrotz, wenn wir uns das Potenzial der Menschen anschauen, die potenziell für Wagenknecht stimmen würden, dann sind das nicht nur Menschen, die allein migrationskritisch sind, sondern eben auch Menschen, die generell konservativ eingestellt sind. Das kann auch bedeuten, dass sie kritisch gegenüber Klimaschutz sind oder auch gegen die Rechte von LGBTQI-Communities sind." (DW - Deutsche Welle)


Man sieht, dass es eigentlich um eine große Zahl von eher konservativen Protestwählern vor allem im Osten Deutschlands geht, die unserer Demokratie in die eine oder andere Richtung schwächen könnte: von links bis rechts.


Ich kann nur hoffen, das weder rechter noch linker Antiamerikanismus unseren klaren Blick auf ein langsam erodierendes Demokratieverständnis im Westen verzerrt, bei aller berechtigter Kritik an der Politik der USA, aber es dürfte klar sein, dass gegenwärtig die größte Gefahr für die Welt vom Klimawandel und den imperialen Machtphantasien eines Wladimir Putin ausgehen, der die Geschichte der Menschheit zurückdrehen möchte auf hochgerüstete Nationalstaaten, bei denen das Recht des Stärkeren über Humanität, Menschenrechte, Fürsorge und Empathie gestellt wird.


Frau Wagenknecht liegt hier m.E. leider bei ihrer Einschätzung von Putins Motiven falsch: sein Handeln wird nicht wirklich durch eine „vorrückende NATO“ oder durch eine westliche Geringschätzung Russlands bestimmt, es wird bestimmt von neoimperialistischen Großmachtphantasien der russischen Vergangenheit, bei denen Moskau und St. Petersburg ihre Brudervölker der ehemaligen UdSSR mindestens genau so ausgebeutet haben, wie die westlichen Nationalstaaten vor dem 2. Weltkrieg die Dritte Welt durch ihren Kollonianismus ausgebeutet haben. Gleiches betreibt Putin aktuell auch in Afrika mit seiner Wagner Truppe: Ausbeutung von Bodenschaätzen gegen militärische Unterstützung.


Auch wird Frau Wagenknechts ständig wiederholte Erzählung von eine frühen Möglichkeit der Abwendung des Ukrainekrieges, die der Westen verhindert hätte, dadurch nicht wahrer. Ebenso die von ihr immer wieder bemühten Generäle der USA, die den Widerstand der Ukraine gegen Putin für aussichtslos halten, lösen das humanistische Problem in der Ukraine wegen einer Überfalls-Gewaltherrschaft Putins dort nicht wirklich.


Man kann beklagen, dass täglich dort Menschen auf beiden Seiten sterben, man kann aber auch gleichzeitig sich selbst was vormachen, wie das denn zu beenden sein könnte: ukrainisches Territorium gegen zukünftige Freiheit und Selbstbestimmheit eintauschen? Frau Wagenknecht wird das so nie zugeben, sie fabuliert eher über die Möglichkeit, die heute russische annektierten Gebiete in der Ukraine nach Rückzug russischer Truppen unter UN-Verwaltung stellen zu wollen und dort freie Volksabstimmungen über die Zugehörigkeit der Regionen zur Ukraine oder zu Russland abzuhalten. Wie naiv ist das denn?


Der russische Staat verbietet in seiner Verfassung die Wiederpreisgabe von einmal gewonnen/annektierten Gebieten auch durch den Präsidenten der Russischen Föderation. Putin hat das alles von langer Hand vorbereitet.


Die Tatsache, dass ein Großteil der Menschen in diesen von Russland annektierten Gebieten dazu gezwungen werden, einen russischen Pass zu nehmen, um so überhaupt erst Zugang zu Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen zu bekommen, wird schlicht ignoriert.


Man kann mit einem Unrechtsregime nur bedingt verhandeln, Frau Wagenknecht. Aber, stattdessen mit einem allgemeinen Friedensaufruf zwar für die Notwendigkeit eines solchen Friedens aufzurufen, diesen Aufruf einseitig aber nur an den Westen zu richten, ist unehrlich.


Manchmal hilft eben nur militärischer Druck, vorallem, wenn der Gegener nur diese Sprache verstehen will. 


Ja, eine neue LINKE durch Frau Wagenknecht könnte die AfD entscheidend schwächen, zumindest in manchen Ostländern. Aber würde das unsere Demokratie tatsächlich stärken, wenn auf der anderen Seite außenpolitische Fehleinschätzungen dafür eingekauft werden?

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