Das Wetter auf der Welt spielt verrückt: Hitzerekorde purzeln nur so daher, Wetterextreme, Waldbrände, Erdrutsche, Gletscherschmelze, Überschwemmungen, Tornados, Hagel…..und der Wohlstandsbürger sieht die Botschaft wohl, allein ihm fehlt der Glaube.
Bei Markus Lanz wurde gestern über den Zustand der deutschen Gesellschaft und ihrer Protestkultur gestritten. Zu Gast waren der Aktivist der „Letzten Generation“ Theodor Schnarr, die Vorsitzende des Ethikrates Alena Buyx, der Psychiater, Psychotherapeut und Theologe Manfred Lütz und der Publizist und Jurist Michel Friedmann.
Schnell bildete sich in der Diskussion eine Front gegen die sogenannten „Klimakleber“, die doch offensichtlich und für jedermann verständlich das falsche Mittel für den richtigen Zweck gewählt haben. Man war sich bis auf den Vertreter der Letzten Generation einig, dass ein anständiger, regelkonformer Protest ala „Fridays for Future“ doch in einer Demokratie zur Darstellung der Klimaproblematik wesentlich angemessener und erfolgreicher sei, als dass eine kleine Bewegung, von manchen Politikern durchaus als Terroristen klassifiziert, den Rest der Gesellschaft mit einem übertriebenen und mit Horrorszenarien unterlegten Anliegen in Geiselhaft nimmt, dadurch nämlich, dass man Verkehrswege und Kulturgüter derart für sein Anliegen instrumentalisiert, dass die Ruhe im Bürgertum empfindlich gestört wird.
Da wird nach Herrn Lanz dann eine Angehörige durch einen Klimakleber daran gehindert, ihre sterbende Mutter besuchen zu können, Herr Friedmann spricht von Strafrechtstatbeständen, der Psychiater Herr Lütz mahnt den Vertreter der Letzten Generation Herrn Schnarr an, doch das Dozieren endlich zu unterlassen und am Gespräch offen teilzunehmen. Die Frontenbildung war schnell abgeschlossen: die reifen Bildungsbürger und Demokratiefachleute in der Runde gegen einen verzweifelten, fehlgeleiteten Klimaktivisten. Einzig Frau Buyx konnte hin und wieder dem Klimaaktivisten bezüglich des geforderten Bürgerrates zur Seite stehen, aber natürlich auch sie findet das „Klimakleben“ eine falsche Methode für das richtige Ziel.
Nur eines konnte bei all den lehrerhaften Attitüden der Anti-Klimakleberfront nicht gelingen: dass der Klimaaktivist mal in Gänze, ohne Unterbrechung, vorstellen konnte, was denn eigentlich die Forderungen der Letzten Generation sind.
Herr Friedmann klammerte sich an die drei Forderungen „9-EUR-Ticket, 100km Geschwindigkeitsbegrenzung und Einrichtung eines neuen, erwürfelten Bürgerrates“ und stellte beharrlich die Frage an den Aktivisten, ob er daran denn tatsächlich glauben würde…..ausreden hingegen ließ er ihn nicht. Der sich belehrt fühlende wurde selbst zum Belehrenden!
Herr Schnarr konnte einem Leid tun, denn er war sichtlich fassungslos. Er konnte glaubhaft machen, dass er überhaupt keinen Spaß daran verspürt, für sein dringendes Anliegen von normalen Alltagsbürgern beschimpft oder gar weggezerrt bis hin zu Gewaltübergriffen konfrontiert zu werden….und dennoch, er nimmt das alles mit Demut auf sich, selbst die angeordneten Inhaftierungen in der Folge. Seine Gegener in Diskussion bewegen sich hingegen verbal klügelnd in ihrer angestammten Komfortzone.
Soviel zu meinen Eindrücken.
Aber, was denn tun wenn die Hütte wirklich brennt? Was tun, wenn der Normalbürger zwar bemerkt, dass das Wetter immer häufiger unerträgliche Kapriolen schlägt, er aber seinen eigenen Anteil daran nicht wirklich so richtig begreift? Ebenso wie seine gewählten Politiker, die sich in der grünen Ampel-Koalition angesichts des Zwiespaltes der globalen Bedrohungen und den daraus natürlich erwachsenden Belastungen des Einzelnen gegenseitig zerfleischen?
Ein Drittel der Menschheit ist bereits Opfer dieser globalen Erwärmung. Ja Herr Lanz, es geht inzwischen um Milliarden von Menschen, nicht nur um Millionen! Panikmache?
Es geht natürlich um Fakten, aber in der Diskussionsrunde sind zwar keine Klimaleugner, aber doch lässt sich der eine oder andere dazu hinreißen, dass es auch in der Wissenschaft abweichende Meinungen gibt, was die Dringlichkeit des Handelns betrifft. Ein Trend, der politisch besonders bei der FDP vertreten wird, die ein freies Land für freie Bürger propagiert, ohne Geschwindigkeitsbegrenzung und natürlich mit Verbrennermotoren, nur eben mit e fuels betrieben, damit der Porsche und andere Fahrzeuge im Luxussegment bewahrt werden können.
Ich kann den Frust der letzten Generation verstehen, wenn insbesondere das wohlhabende eine Prozent der Bevölkerung bei uns zu zehn Prozent die Umwelt mit CO2 belastet, auch wenn zehn Prozent von Deutschlands zwei Prozent im Weltvergleich doch ein Muckenschiss sind. Natürlich sind die ca. zusammen 50 Prozent CO2 Belastung durch China, USA und Indien von größerer Tragweite, aber können wir uns dann zurücklehnen? Was ist mit der Vorbildfunktion von Industrieländern, die diese ganze Misere erst ins Rollen gebracht haben?
Aber zurück zum aufgeworfenen Demokratieproblem in der ganzen Diskussion.
Die Demokratien werden in ihren Entscheidungsproblematiken angesichts globaler Herausforderungen immer komplizierter, gleichzeitig werden die Bürger in den Demokratien immer weniger faktensicher und vom erreichten Wohlstand eingelullt bis hin zu erheblichen Bildungseinbußen. Wir haben immer mehr Demokratieteilhaber statt Demokratieteilnehmer - Geben und Nehmen in der Demokratie fallen immer mehr auseinander. Wer hat denn noch Zeit und Lust sich mit der globalen Faktenlage ernsthaft auseinanderzusetzen, wenn die eigenen Lebensmittel und Wohnungskosten immer mehr aus den Fugen geraten und vor der eigenen Haustüre immer mehr Flüchtlingsunterkünfte entstehen? Ein gefundenes Fressen für Populisten, für jene also, die nicht wirklich über alternative Konzepte in der Politik verfügen, sonder die einfach auf der Unmuts- und Überforderungswelle mitreiten und Gewinn daraus schlagen, wie z.B. die AfD. Und dann sollen auch noch Steuergelder für einen Krieg verschwendet werden, der einen doch eigentlich garnichts angeht?
Demokratie ist kein statisches Gebilde, auch sie muss sich, an den Herausforderungen gemessen, weiterentwickeln. Ja, wir haben ein ausgeklügeltes System von demokratischen Institutionen durch unser Grundgesetz, aber ist das alles noch ausreichend?
Man muss in jeder Gesellschaft Angst vor dem “Mob“ haben: Stammtisch-Bruderschaften mit gar zu schnellen Antworten auf gesellschaftliche Fragen. Besonders im Zeitalter von Social Media hat sich der „Stammtisch“ von der Kneipe gegenüber zu einem machtvollen, globalen Einflussmarkt der Meinungen entwickelt. Redaktionelle und transparente Regeln gelten hier nicht: jeder kann, möglichst noch getarnt als Avatar, sagen was er will und wie er es will - beleidigend, bedrohend, verletzend, verhöhnend….oder einfach respektlos. Verschwörungstheorien greifen um sich, die eigene Machtlosigkeit und Überforderung darin ausdrückend, dass geheime Mächte die Kontrolle übernommen haben.
Aber bleiben wir kurz bei „Meinungen“. Herr Friedmann hat hier bei mir einen Punkt gemacht: Meinung und Meinungsfreiheit ist gut und richtig, aber eine Meinung muss dennoch faktenbasiert bleiben. Spielen Fakten als Grundlage für Meinungen und Meinungsbildung keine Rolle mehr, verkommt das notwendige Gespräch in Kategorien der Behauptungen, unbestimmter Ängste, Machtanmaßungen, Gewaltexzesse und Glaubenskriege.
Wenn nun aber genau die Ergründung von Fakten immer komplizierter wird, was geschieht dann mit der Demokratie? Auf welcher Basis soll sie dann noch Entscheidungen treffen?
Wenn der Klimaaktivist dann zutreffend feststellt, dass der Deutsche Bundestag sich überwiegend aus dem gehobenen Bildungsbürgertum rekrutiert, ist das dann noch repräsentativ? Natürlich: auch der einfache Mann auf der Strasse hat diese Abgeordneten dann gewählt, aber auf welcher Grundlage eigentlich? Vielleicht, weil er sich durch einen „Gebildeten“ tatsächlich auch besser in der Durchsetzung seiner Interessen vertreten sieht, wie Herr Lanz spekuliert?
Aber mal ernsthaft: wenn immer weniger Bürger einer Demokratie an ihr wirklich teilnehmen können, weil der tägliche „Überlebenskampf“ in einer Leistungsgesellschaft und der zunehmende Freizeitstress nicht mehr genügend Raum lässt für eine ausreichende Informationsbeschaffung, was tut dann Not? Mir wurde in der Schule noch gelehrt, das tägliches Zeitungslesen unabdingbar ist. Und heute mit den sozialen Medien? Wer unterrichtet den richtigen Umgang mit ihnen? Klar, man googelt und wikied sich die richtigen Antworten für die Hausaufgaben zurecht, aber lernt man den tatsächlichen Umgang mit einer kritischen Informationsbeschaffung dort? Bei den Zeitungen konnte man noch den Redaktionsstandarts vertrauen und man wusste, für welche politische Richtung eine Zeitung steht. Aber im Internet? Schon mal versucht YouTube Beiträge oder Facebook-, Twitter-, Instagram- oder Telegram-Kanäle und deren Beiträge auf ihre Urheberschaft hin zu überprüfen?
Wenn also die Masse des Volkes sichtlich überfordert ist sich um Fakten und damit Meinungsanalyse zu kümmern, aber alle vier Jahre auf Stimmzetteln Kreuzchen machen darf, was geschieht dann mit Demokratie wirklich?
Hier kommt nun das Gebilde eines Klima-Bürgerrates oder Gesellschaftsrates von der Letzten Generation ins Spiel.
Da der Aktivist der Letzten Generation bei Lanz letztlich nie die Chance hatte, das Konzept vorzustellen, tue ich das nun, indem ich von der Website der Letzten Generation zitiere-
Zitatbeginn:
„Der Gesellschaftsrat baut auf dem Instrument des Bürger:innenrates auf. Er setzt sich zusammen aus zufällig gelosten Menschen, die die Bevölkerung Deutschlands nach Kriterien wie beispielsweise Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Migrationshintergrund bestmöglich abbilden. Im Gesellschaftsrat wird die Bevölkerung nach wichtigen soziodemographischen Merkmalen abgebildet – eine Art “Deutschland in klein” kommt zusammen.
Der Gesellschaftsrat erarbeitet in einem definierten Zeitraum die nötigen Schritte unter der Fragestellung: Wie beendet Deutschland bis 2030 die Nutzung fossiler Rohstoffe auf sozial gerechte Weise? Das bedeutet, dass wir unsere Energieversorgung komplett auf 100% erneuerbare Energien umstellen. Zudem müssen menschengemachte Treibhausgasemissionen, die nicht durch das Verbrennen fossiler Rohstoffe entstehen, ebenfalls beendet werden. Dazu gehört eine Kreislaufwirtschaft, die der Verschwendung ein Ende bereitet und somit den Energiebedarf erheblich reduziert und eine klimapositive, also kohlenstoffbindende Landwirtschaft.
Zu allen Hintergründen werden die Teilnehmenden von verschiedenen Expert:innen mit Fakten und Perspektiven versorgt und können in ihren Beratungen auf weiter benötigte Fachexpertise zugreifen. Die Entwicklung der konkreten Maßnahmen findet in professionell moderierten Kleingruppen statt, der Prozess wird medial begleitet und das ganze Land fiebert mit, was der Rat bespricht.
Bürger:innenräte wurden bereits zahlreich und auf unterschiedlichen Ebenen durchgeführt – besonders bei kontroversen Themen waren oft weitreichende und vor allem sozial gerechte Maßnahmen das Ergebnis. In vielen Fällen verschwinden die Empfehlungen jedoch in der Schublade. Der Gesellschaftsrat geht deshalb einen Schritt weiter als bisherige Bürger:innenräte.
Unsere Forderung: Die Regierung soll öffentlich zusagen, die mit den im Gesellschaftsrat erarbeiteten Maßnahmen verbundenen Gesetzesvorhaben in das Parlament einzubringen. Außerdem soll sie die für die Maßnahmen und Gesetzesvorhaben nötige Überzeugungsarbeit im Parlament leisten und die Gesetze nach Verabschiedung in einer beispiellosen Geschwindigkeit und Entschlossenheit umsetzen. Das ist ein Prozess, der echte gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und das Vertrauen in unsere Demokratie stärkt.
Vor über einem Jahr fand ein zivilgesellschaftlich organisierter Bürgerrat Klima statt. Er kann in seiner Struktur als Vorbild dienen. Aber den Bürgerrat Klima 2021 kannten nur etwa 9 % der deutschen Bevölkerung. Die Ergebnisse des Rates stießen in der Bevölkerung, laut repräsentativen Umfragen, auf absolute Mehrheiten.
Wichtig für echten Wandel ist also die Aufmerksamkeit. Wenn ein Rat einberufen wird, sollte das schon vor Beginn in TV-Brennpunkten gezeigt werden und auf den Titelseiten der Zeitungen stehen. Nur so kann der Autofan aus dem Ruhrgebiet auch sehen, dass in diesem Rat andere Autofans aus dem Ruhrgebiet sitzen werden und kann dafür streiten, dass die Regierung ihr Versprechen auch umsetzen muss. Das meinen wir mit dem Gesellschaftsrat.“
Zitatende.
Übrigens: der Bürgerrat Klima existierte bereits seit 2019 und hatte der frischen Ampelregierung sein Bürgergutachten zum Klima übergeben. Leider ist nur wenig in die Regierungsarbeit eingeflossen - daher nun die Forderung eines verbindlicheren Gesellschaftsrates. Hier die damaligen Ergebnisse Klimarat.
Nun liebe Leser: ist das oben von der Letzten Generation Vorgeschlagene wirklich so unvernüftig und abwegig, nur weil es eine Erweiterung in meinungsbildenden Institutionen einer Demokratie fordert und schafft, weil bei zunehmenden Spezialfragen einer Gesellschaft die gegenwärtig etablierten Institutionen unserer Demokratie wegen politischem Gezänke und Lobbyisteneinflussnahmen offensichtlich ebenfalls gänzlich überfordert sind?
Wenn schon die große Masse unserer Gesellschaft bei diesen immer komplexeren Fragen tatsächlich bezüglich Expertise und faktenbasierter Meinungsbildung immer mehr abgehängt wird, so kann doch eine solche, repräsentative Mini-Labor-Gesellschaft zumindest Gesetzesvorschläge erarbeiten, die dann wie gewohnt in den herkömmlichen parlamentarischen Prozess einlaufen. Hier wird m.E. keine Demokratie in Frage gestellt, sondern sie wird um ein Instrument erweitert, um den neuen Herausforderungen besser gerecht zu werden.
Und ja, Herr Friedmann: auch die Ablehnung eines 9-EUR Tickets und einer Geschwindigeitsbegrenzung auf 100 km/h macht deutlich, wie wenig guter Wille in der Gesellschaft vorhanden ist, einen eigenen Beitrag zur Klimakrise leisten zu wollen - über die Heizungskeller möchte ich erst gar kein Wort verlieren.
Und ja, Herr Lütz: in einer Demokratie kann das Volk sich letzlich auch für einen Klima-Selbstmord entscheiden, wenn wenigstens noch das täglich Brot wenigstens erschwinglich ist. Aber wenn die Entscheidungsgrundlage für das Volk so ist wie sie ist, ist das gesamte Demokratiegebilde in Frage gestellt, oder nicht? Und genau darauf zielen die Populisten, insbesondere die AfD ab.
In Griechenland wurde unlängst wegen der Klimakrise ein Kloster durch Feuer eingekesselt und die Nonnen weigerten sich bis zuletzt evakuiert zu werden. Die Katastrophenhelfer bebeteten und beknieten sie bis zuletzt - und sie gaben Gott sei Dank am Ende nach. Aber wenn nicht? Hätten die Helfer die Nonnen genötigt und gegen ihren Willen evakuiert? Wären die Helfer selbst nicht auch genötigt worden?
Was also ist richtig, wenn die Hütte brennt?
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