Neue Weltordnung über eine Pentarchie?

Beispiel Pentarchie um 1840 als Ergebnis des Wiener Kongresses, als Europa nach Napoleons Niederlage neu verhandelt wurde:

Europäische Großmächte um 1840: Großbritannien (rot), Frankreich (violett), Preußen (schwarz), Österreich (gelb), Russland (grün).

Wie geht es weiter mit der Welt im Angesicht eines Krieges mitten in Europa, in dem Russland sich immer mehr zum Kriegsstaat entwickelt, bei dem ein innerer 

Zerfall der USA durch die republikanische Bewegung festzustellen ist, und bei dem man mit einem aufstrebenden China rechnen muss?


Prof.em. Dr. Herfried Münkler hat in einem Vortrag bei der Stiftung Demokratie Saarland (SDS) am 03.07.2023 einige interessante Entwürfe vorgestellt.


Prof. Münkler macht deutlich, dass wenn es keine echte „Hütermacht“ geben kann, es nur über eine Machtmechanik z.B. einer Pentarchie funktionieren könnte.


Pentarchie besagt, dass 5 mächtige Staaten der Welt auf Augenhöhe sich in wichtigen Fragen die Macht teilen, wobei eine das „Zünglein an der Waage“ spielen muss. Die Zahl 5 scheint aus der Spieltheorie zu stammen, welche gegenüber den anderen möglichen Zahlen 3 oder 7 die größte Stabilität verspricht. Man kennt dies auch aus der Psychologie der Teambildung, wo die Zahl 5 eine optimale Ausgangssituation darzustellen scheint.


Aber zunächts: warum gibt es keine „Hütermacht“. Eine Hütermacht würde sich um globale Fragen des Weltgeschehens bemühen, sozusagen sich nicht nur um das kontrollierte, globale Verbrauchen von Resourcen kümmern, sondern auch um deren globale Erhaltung und Regeneration, um letztlich eine sogenannte „Überweidung“ unserer Erde durch einzelne Staaten zu verhindern und sie würde über Mittel verfügen, sich gegenüber den anderen Staaten durchzusetzen.


Man hat nach 1945 mit Gründung der UN wohl eine derartige Hütermacht im Blick gehabt. Die Vereinten Nationen mit ihren aktuell 193 Mitgliedern sind zumindest in der Frage der „Überweidung“ zusammen mit vielfältigen NGOs (Non Government Organisations) einigermaßen erfolgreich gewesen, Themen wie Klima, Armut und Hunger für die Weltbevölkerung wenigstens zu benennen, in Fragen der Durchsetzungsfähigkeit allerdings, insbesondere mit der Einrichtung des UN Sicherheitsrates, ist sie auf der Strecke geblieben. Von aktuell 15 Nationen im Sicherheitsrat sind 5 Nationen als ehemalige Siegermächte und nun ständige Mitglieder mit einem Vetorecht ausgestattet. Ist nun aber mindestens ein „böser Bube“ unter diesen Fünfen dabei, ist diese Konstruktion hinfällig, wie das aktuelle Beispiel Russland deutlich zeigt.


Ein „böser Bube“ ist z.B. einer, der imperialistische, geopolitische Ziele verfolgt, und dabei rein auf militärische Macht und deren Finanzierung durch eine Kriegswirtschaft baut. Russland ist in dieser Hinsicht unter Putin ein Paradebeispiel geworden: es verfügt über kein nennenswertes, wirtschaftliches Potential z.B. über eine Industrie, sondern lebt einzig durch seine Rohstoffreserven, deren Erlöse überwiegend in die Rüstungswirtschaft gesteckt werden. Eine Nation quasi, die in Zukunft nur noch durch Raubzüge in Nachbarländer überleben kann.


Aber auch eine solch autokratisches System zeigt Nachteile: während Demokratien wegen langsameren Entscheidungsprozessen und häufigen Machtwechseln benachteiligt zu sein scheinen, entwickeln sich Autokratien früher oder später zu senilen Machtgebilden: die Anführer und ihre Cliquen bleiben zu lange an der Macht, es erfolgt zunehmend weniger Innovation und das Mißtrauen der Führer gegenüber ihren eigenen Eliten und umgekehrt wächst unaufhaltsam: ein Tyrann hat keine Freunde!


Gerade die gegenwärtige Pazifismusbewegung angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine zeigt eindrucksvoll, wie eine derartige „Hüterschaft“ herbeigesehnt wird, aber defakto gegenwärtig nirgends gefunden werden kann.


Also bleibt nur eine Machtmechanik führender, sich gegenseitig als gleichwertig betrachtender Staaten, vorzugsweise eine Pentarchie. Prof. Münkler denkt dabei an ein 2+2+1 Gebilde der Form:


Europa + USA als demokratische Vertreter,

China + Russland als autokratische Vertreter und Indien als „Zünglein an der Waage“.


Im Hintergrund lauern sicherlich auch einige Staaten der zweiten Reihe (Brasilien, Südafrika etc.) darauf, mitspielen zu können.


Europa ist dabei ein riskanter Kandidat. Zwar hat der Ukraine-Krieg für einen starken Schulterschluss in Europa gesorgt, aber solange nicht auch wenigstens eine militärische Einheit, eine gemeinsame Armee mit u.a. auch Atomwaffen (leider) etabliert ist, muss man mit Angst auf beunruhigende Tendenzen in Amerika schielen.


Der Umgang mit Werten scheint ein weiteres Hindernis zwischen Demokratien und Autokratien: hier wäre daher zukünftig eine eher interessenbasierte Politik statt einer werteorientierten Politik anzustreben - für eigene Werte kann und muss man zwar einstehen, aber weniger durch missionarischen Eifer und lehrerhafte Attitüden als vielmehr durch eine eigene Vorbildfunktion. 


Russland als Teilnehmer einer zukünftigen Pentarchi-Konstruktion scheint derzeit ebenfalls fragwürdig, denn die 5 Teilnehmer müssten sich über das Ziel „Frieden in Europa“ einig sein. Eine territoriale Neuordnung wie beim Wiener-Kongress nach dem Scheitern Napoleons kommt nicht in Betracht, denn Europa wurde nach dem zweiten Weltkrieg bereits neu geordnet und es wurde mit dem Vertrag von Helsinki 1975 nochmals bindend bestätigt, dass Grenzen in Europa nicht mehr verschoben werden sollen.  Russland hat dies ebenfalls unterzeichnet, dann aber mehrfach dagegen verstoßen: zuletzt 2014, 2022. Überhaupt scheint mit Russland derzeit kein nachhaltiger Vertragsabschluss in geopolitischen Fragen in naher Zukunft möglich. Daher ist durch Putins imperialistische und revisionistische Ziele und damit unter seiner Führung eine Mitgliedschaft Russlands in einer neuen Pentarchie derzeit bei bestehenden Machtkostellationen im Kreml leider nicht vorstellbar.


Indien als Zünglein an der Waage? Indiens Premier Modi ist ein Hindu-Nationalist und es gibt sehr kritische Meinungen über ihn (Wiki):


„Modi wird vorgeworfen, aus dem säkulären Indien einen Hindu-Staat machen zu wollen. Laut Amartya Sen habe Modi ein geschichtsbedingtes „Gefühl des Unterdrücktseins“ der Hindus ausgenutzt, um an die Macht zu kommen. Kritiker seiner Politik mache er auf verschiedene Weisen mundtot und untergrabe auf diese Weise als Autokrat die Demokratie. Unschuldige würden als angebliche Terroristen inhaftiert. Im Internet werden regierungskritische Meinungen teilweise gelöscht oder der Internetzugang wie im Bundesstaat Kaschmir monatelang komplett unterbunden. Indische Journalisten, die Modis Namen im Kontext negativer Nachrichten erwähnen, würden suspendiert. Einige Journalisten werden terrorisiert oder ermordet. Weiterhin setze Modi bzw. die BJP eine Troll-Armee im Internet ein, die Fake News sowie Hassbotschaften und Gewaltaufrufe gegenüber kritischen Journalisten, Klimaaktivisten, Frauenrechtlern und religiösen Minderheiten verbreite.“


Fazit: es sieht derzeit nicht gut aus für eine neue Sicherheitsordnung in Europa.“ Fest steht aber, dass eine rein demokratisch ausgerichtete Fiedensordnung hier nicht funktionieren wird, man wird ein gewisses autokratisches Moment berücksichtigen müssen, wobei allerdings imperialistische und despotische Bestrebungen ausgeschlossen werden müssen.


Nun scheint der chinesische „Friedensplan“ zumindest derzeitige Grenzen anerkennen zu wollen und deren Unverletzbarkeit zu propagieren, allerdings ist bei der chinesischen Unterstützung Russlands fraglich, welche „Grenzen“ die Chinesen in der Ukraine denn nun tatsächlich meinen?


Diese Frage stellt sich auch bei Diskussion um die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Es gibt Überlegungen, die von Russland unbesetzten Gebiete in der Ukraine frühzeitig in die NATO zu integrieren - aber auch in diesen Gebieten herrscht gerade Krieg, indem ständig Luftangriffe durch Russland erfolgen. Russland hat der Ukraine aber ja keinen Krieg erklärt, selbst die Verwendung des Wortes Krieges für die sogenannte „militärische Spezialoperation“ ist in Russland mit Strafe bedroht.


Diese permanente, milde ausgedrückt Unehrlichkeit des Kreml-Regimes, rückt es im Weltgeschehen und im Miteinander der Staaten tatsächlich absolut ins Abseits. Das Ansehen Russlands in der Welt wurde und wird von Putin massiv zertört, und man kann nur darauf vertrauen, dass vernünftige Mächte in Russland wieder die Kontrolle über dieses wichtige Land erhalten. Aber auch hier besteht gegenwärtig wenig Hoffnung. Zwar zeigen sich bereits erhebliche Risse im Machtgefüge Putins, die er durch übliche Propaganda zu vertuschen sucht, aber erst ein verlorener Krieg gegen die Ukraine wird Putin zu Verhandlungen zwingen. Despoten dürfen keine militärischen Angriffskriege gewinnen - hier sollte Einigkeit auch mit anderen autokratischen Systemen erzielt werden können. Man muss also mit Autokraten zu leben lernen, man muss lediglich verhindern, dass sie sich zu Despoten und Aggressoren entwickeln. Dazu bedarf es neuer, verbindlicher Regeln des Zusammenlebens, die sogenannte „innere Angelegenheiten“ eines Staates grundsätzlich zwar akzeptieren, aber gleichzeitig menschenrechtliche Fragen und globale Problemstellungen immer wieder thematisieren - aber nur durch Vorbildfunktion, nicht durch schulmeisterliches Auftreten.


Freiheitlich liberale und rechtsstaatliche Systeme sind eine Errungenschaft der Menschheit, auch diese waren einmal davor mehr oder weniger autokratisch und nationalistisch und mussten sich den neuen „Zustand“ erst erkämpfen. Das geht vor allem über die betroffenen Zivilgesellschaften wie die Geschichte lehrt. Es sind immer schmerzhafte Prozesse für die Individuen im betreffenden Kollektiv. Die Reife der Individuen und deren Ungleichgültigkeit gegenüber sozialen Entwicklungen in den Kollektiven ist eine unverzichtbare Voraussetzung. Auch jene Staaten, die diesen Weg bereits erfolgreich gegangen sind, können sich auf diesen einmal erreichten Erfolg nicht ausruhen: ein System der Ordnung benötigt ständige Energie, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Fehlt diese, tritt der ursprüngliche Zustand der Nichtordnung oder Scheinordnung durch Gewalt wieder ein.



Prof.em. Dr. Herfried Münkler - Vortrag und Diskussion am 3.7.23 bei der Stiftung Demokratie Saarland (SDS)

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