Hier möchte ich aus einem grandiosen Werk wichtige Passagen zitieren:
Das Wesen des Übeprozesses "Hara, die Erdmitte des Menschen" von Karlfried Graf Dürckheim
….meine unbedingte Buchempfehlung für Menschen, die sich in ihrem Leben schon einmal durch beharrliches Üben mit der Vervollkommnung einer Kunst beschäftigt haben: ob in der Musik, im Tanz, im Schauspiel, im Sport, in der Literatur, oder ganz allgemein im Gestalten.
Beginn der Auszüge:
"Übung macht den Meister!". Doch wer ist ein Meister? Ein Meister ist, wer ein Können so beherrscht, daß die vollendete Leistung gewährleistet ist. Solches Können setzt lange Übung voraus. Nur beharrliche Übung führt zu wirklichem Können, und nur das wirkliche Können bringt die vollendete Leistung, sei es als Tat oder Werk.
In Wahrheit birgt jedes sich immerzu wiederholende Tun die Chance einer Vollendung in sich, die den, der sie erreicht, zum Meister dieses Tun macht. Beim Werk geht es um mehr als ein Tun, das sich im Vollzuge erfüllt. Beim Werk geht es um das, was das Tun überdauert.
Das Werken erfüllt sich in einem Gebilde, das "besteht", weil es vollendet in sich ruht. Das Meisterwerk ist gültig, weil man nichts hinzufügen, nichts wegnehmen kann. Erst lange Übung, die das große Können hervorbringt, zeitigt den Meister des vollendeten Werkes. Aber wie bei der Tathandlung ist auch beim Werk der Sinn der so verstandenen Übung das, was am Ende "herauskommt'
Von einem Meister, sei es in Bezug auf ein Tun oder Werken, spricht man dort, wo das Gelingen nicht nur dann und wann, sondern mit Sicherheit eintritt. Sicherheit des Gelingens setzt aber mehr voraus als nur ein vollendetes Können. Was ist dieses Mehr? Es ist eine menschliche Verfassung, die den Erweis des vorhandenen Könnens sicherstellt. Ein Tun kann noch so gekonnt sein, eine Technik noch so beherrscht, solange der Mensch, der sie ausübt, dabei noch abhängig ist von Laune und Stimmung, ungelassen und störbar, z.B. wenn jemand ihm zuschaut - dann ist er nur in sehr beschränktem Sinne ein Meister. Er ist es nur in Bezug auf die Technik. Er ist es aber nicht in Bezug auf sich selbst. Er beherrscht sein Können, das er hat, aber nicht sich als den, der er ist. Und wenn der Mensch mehr kann, als er ist, versagt im entscheidenden Augenblick auch sein Können. Dazu aber, daß man sich selbst in der Hand hat, kann nur eine besondere Übung hinführen, die sich nicht schon im technischen Können, sondern in der Verfassung des Menschen erfüllt, in der auch die Bewährung sichergestellt ist.
Das ist Übung verstanden als Exercitium.
Sein Sinn ist nicht die sichtbare Leistung, sondern ein innerer Gewinn. Bei solcher Übung geht es nicht nur um die Tat als solcher oder um das sichtbare Werk, sondern um den im Üben sich verwandelnden Menschen.
Dann verlagert sich der Sinn jeder Tat- und Werkübung von außen nach innen. Mehr als um den sichtbaren Erfolg geht es dann um eine Verfassung des Menschen, deren Gefestigtheit zwar auch die vollendete Leistung zeitigt, deren Sinn aber eine Manifestation des Seins ist. So gesehen kann jede Kunst Gelegenheit werden, sich im Zunehmen auf "dem inneren Weg" zu üben und so versteht man auch, wenn der Japaner sagt: "Bogenschießen und Tanzen, Blumenstecken und Singen, Teetrinken und Ringen... - es ist alles dasselbe". Von der Leistung, vom Werk her, hat dieser Satz keinen Sinn. Aber wenn das durchgehende Anliegen begriffen ist: die wahre Selbstwerdung des Menschen, dann hat er eine ganz schlichete Evidenz.
So hat aber für den Japaner jede Kunst wie auch jeder Sport einen Sinn über die Leistung hinaus: Ihre Übung zielt auf eine Verfassung des ganzen Menschen, dank der dann die vollendete Leistung spielend und wie absichtslos abfällt, ohne daß noch irgend etwas getan wird - so wie ein Apfel vom Baum fällt, wenn er reif ist, ohne daß der Baum noch etwas dazu tut. Sie geschieht aus dem Wesen.
Das Kernstück dieser Verfassung, auf deren Entdeckung, Ausbildung und Festigung es in der Ubung ankommt, ist die Unerschütterlichkeit des Schwerpunkts in der "Mitte", also des Hara.
Das Hara eines Kriegers ist die Gefestigtheit einer Verfassung, die die Bewährung eines gelernten Könnens unter allen Bedingungen - insbesondere auch angesichts des Todes - zu einer unpathetischen Selbstverständlichkeit macht. Solche Verfassung hat aber zur Voraussetzung die Befreiung von der Vorherrschaft eines den Tod fürchtenden Ichs, die wiederum nur möglich ist durch eine Verankerung des Menschen ein einem Seinsgrund, der jenseits von Leben und Tod ist.
Beim Erlernen einer Kunst geht es also letztlich nicht um das, was herauskommt, sonder um das was hereinkommt! Herein, d.h. in den Menschen herein. Das Sich-Üben im Dienst an einer äußeren Leistung dient über sie hinaus dem "Werden des inneren Menschen". Und was gefährdet dies innere Werden des Menschen vor allem? Das Stehenbleiben im Gewordenen! Im Zunehmen bleiben muß der Mensch, im Zunehmen bleiben ohne Ende!
Diese innere Verfassung gewährleistet das Gelingen unabhängig von aller Sorge, es könne mißlingen, und allem Ehrgeiz, es müsse gelingen.
"Wie macht man es nur, ein Meister zu werden? Einfach den Meister der in uns ist, herauslassen!" Zur Stufe dieser Einfachheit ist ein langer Weg. Ein Weg der Ubung, der Befreiung vom Ich.
Natürlich bedarf es auf dem Weg zum Können zuerst gespannter Aufmerksamkeit, eines harten, nie ermüdenden Willens und großer Treue, immer wieder dasselbe zu wiederholen, bis endlich das Können da ist. Die Übung im eigentlichen Sinne fängt aber dort an, wo die grobe Technik beherrscht wird, denn dann erst kann der Übende sein Ich zurücktreten lassen, das mit seinem Ehrgeiz und seinem Willen zu glänzen, wie auch seiner Angst, zu versagen, störend im Weg steht. Nur, wo das Ich zurücktritt, kann das Gewinnen und Festigen der rechten Mitte gelingen.
Der hartnäckigste Widersacher auf dem Weg zum Gewinn der Kraft der Mitte ist also das "kleine" Ich, das mit seinem Eigensinn immer wieder die Bezeugung jeglichen Könnens stört. Erst wenn es gelingt, die Einmischung des Uchs auszuschalten, kann die vollkommene Leistung - nun aber als Frucht einer inneren Reife - hervorgehen. Dann ist der Verstand nicht mehr nötig, der Wille schweigt, das Herz ist still geworden, und beglückend und treffsicher zugleich vollzieht der Mensch das Gekonnte ohne sein Zutun.
Der Übung von Hara liegt die Einsicht darüber zu Grunde, wo die tieferen Möglichkeiten und Kräfte des Menschen beheimatet sind, und wo demgemäß in der Ausübung jedweder Kunst, d.h. während des Tuns der Schwerpunkt des bewegten Leibes sein muß. Im gefestigten Hara ist der Schwerpunkt zur zweiten Natur geworden.
Die mehr äußerlich technische Ausbildung von Hara geht von der allgemeinen Erkenntnis aus, daß alles tat- und werkbezogene Tun im Wachsein von jenem Zentrum gesteuert wird, das wir gemeinhin das Ich nennen:
1. Das Ich faßt das im Tun Gemeinte objektiv ins Auge, es fixiert es. Es stellt es fest und hält es fest. Die Voraussetzung hierfür ist, daß das Ich sich auch selbst fest, d.h. bei der Sache hält, also nicht abspringt, sondern im unverwandten Fixieren der Sache nicht nachläßt, kurz, auf seinen Gegenstand fixiert bleibt.
2. Erst dank dieser Konzentration, dank dieses gegenständlichen Fixierens, in dem der Mensch einerseits die Sache, um die es geht, fest im Auge behält, andererseits sich in steter Bezogenheit auf sie festhält, verwandelt sich die tatbereite Antriebsenergie zum zielbezogenen Willen. Nur die nicht nachlassende Versammeltheit des Menschen in dem die Sache und sich selbst festhaltenden Ich bezeugt jene Geradlinigkeit und Stetigkeit der Willens- und Zielkraft, die die Voraussetzung sowohl für den Fortschritt in der Technik wie für das Gelingen einer Leistung ist - solange die Technik noch nicht automatisiert ist!
3. Der innere Gewinn einer Automatisierung liegt nun im Zurücktretenkönnen des fixierten Ichs. Erst wo es der Ichkraft nicht mehr bedarf, kann die Leistung gleichsam hervorblühen. Und umgekehrt, erst wo tat- und werksicheres Tun möglich ist ohne Beteiligung des Ichs, kann sich der Mensch inmitten seines Tuns der in ihm waltenden Kraft aus dem Wesen innewerden. So kann dann ein Tun zum Tor der Erleuchtung werden.
4. Das Ich ist nicht nur die formale, im Sinne eines "persönlichen Ichs" immer gleichbleibende Bedingung jedes gegenständlichen Erlebens, sondern meist auch sein "materiales" Sinnzentrum. In ihm befangen, hat der Mensch vor allem eines im Sinn: sich in diesem vergänglichen Dasein zu bewahren. Wo sein Subjekt-sein ganz von diesem Ich bestimmt ist, sucht der Mensch sich als der, der er ist, durchzusetzen und zu erhalten und bekundet das in seinem nie schweigenden Wunsch nach Bestätigung und Absicherung seiner "Position", sowie in seiner nie schweigenden Sorge und Angst vor Minderung, Herabsetzung oder gar Vernichtung. Er fühlt sich immer irgendwie "bedroht" und sucht bei allem, was er tut, nach Sicherheit, Geltung und Macht, sucht sich zu sichern, zu glänzen und zu herrschen. Das ist es, was die Psychologie gemeinhin das "kleine Ich" nennt. Alles vom kleinen Ich getragene Tun ist durchwittert von der Sorge, die Leistung könne mißlingen und dieses Mißlingen das Ich in seiner Position gefährden, sei es auch nur durch einen Verlust an Prestige. Welche Rolle spielt die Angst vor dem Sichblamieren! Durch alles ichbedingte Erleben und Tun spuken gleich immer wachen Gespenstern Geltungsbedürfnis, Schmerzscheu und Angst; denn in allem ichbedingten Erleben fehlt dem Menschen das Vertrauen in die Kraft aus dem Wesen, die seine Stellung in der Welt von woanders her sichert und trägt.
5. Wo das Ich noch vorherrscht, stellt es sowohl jede sachliche Einstellung wie jede echte Diensthaltung in Frage. Solange Tat- oder Werkleistung allein auf dem Vermögen gegenständlichen Fixierens, konzentrierter Willenskraft beruhen und beides obendrein seine Antriebsquelle und seine Kontrollinstanz in dem nur auf sich selbst bedachten Ich hat, steht alles menschliche Tun auf schwankendem Boden. Ein sicherer Grund ist erst gefunden, wo der Mensch woanders als im Ich gründet, d.h. auch in seinem Selbst- und Weltbewußtsein in seinem Wesen verankert ist.
So geht es gerade auch dort, wo der nächste Sinn eines Tuns die Vollkommenheit einer Leistung ist, um das Finden jenes Schwerpunktes, der anzeigt, daß der Mensch sein Ich gelassen hat und nun "gelassen" in der Mitte seines Wesens ruht und aus ihr heraus handelt.
Ende der Auszüge.
Diese Auszüge fanden auch in meiner ersten Übungsanleitung zum Spielen der Shakuhachi aus den 90er Jahren Verwendung, aus der ich einige Seiten nun veröffentliche:
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