Nach meiner Diskussion um Scheinmenschen und wahren Menschen widme ich mich zwangsläufig wieder darum, was Scheinmenschen so alles anrrichten können.
Die Wagner Truppen unter Jewgeni Prigoschin haben sich am Samstag nahe der ukrainischen Grenze auf russischem Staatsgebiet im Südosten in Rostow am Dom schweres Kampfgerät der russischen Armee angeeignet, man spricht von 2 Bataillonen, mit denen sich der Wagner-Chef zu einem Marsch der Gerechtigkeit Richtung Moskau aufmachte. Der russische Geheimdienst FSB ermittelt gegen Prigoschin. Kurze Zeit später erging aber seine Befehl an seine Söldner innezuhalten, durch Vermittlung des belarussischen Präsidenten Lukaschenko.
Putin reagierte auf Prigoschin zunächst öffentlich entsprechend scharf und bezeichnete ihn als Verräter und sprach von einem Dolchstoß in den Rücken und drohte harte Strafen an. Nach Prigoschins Innehalten lässt der Kreml plötzlich durch seinen Pressesprecher das Gegenteil verkünden: keine Strafverfolgung von Prigoschin und seinen Söldnern mehr, ein Deal sei zustande gekommen. Dennoch verweilt Putin nicht mehr in Moskau und Prigoschin sucht Schutz in Belarus bei Lukaschenko. Die Wagnertruppe hatte bereits 6 russische Kampfhubschrauber vernichtet und weiteres Gerät der russischen Armee.
Der Streit zwischen russischer Armee und Wagner-Truppe hatte sich zwischen dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dem Generalstabschef Walerij Gerassimow und dem Wagner-Chef entzündet, weil letzterer sich von der russischen Armee an der ukrainischen Front verraten fühlte und sogar von Angriffen der russischen Armee auf seine Söldner sprach.
Es herrscht also gerade ein tiefer Graben innerhalb der militärischen Kommandostrukturen der russischen Armee.
In Russland hat sich unter Putin ein mafiös korrupter Staat gebildet, der durch Putins Seilschaften des ehemaligen KGB und aktuell des FSB und den zugehörigen Oligarchen definiert. Andererseits gibt es eine weitere, bisher stille Oligarchenstruktur, die durch die militärische Spezialoperation als Reaktion der vom Westens verhängten Sanktionen erhebliche Verluste an Vermögen und Bewegungsfreiheit eingebüßt haben.
Man kann sagen, der russische Staat steht am Abgrund. Ich bin gespannt auf Chinas Reaktion auf diese Eskalation innerer Machtzustände in Russland.
Das russische Volk selbst feiert laue Sommernächte in Moskau und zeigt sich wenig berührt von den ganzen Vorkommnissen. Einen Bürgerkrieg kann man also nicht erwarten, eher einen Aufstand der Eliten.
Wie wird es weiter gehen? Ich glaube Prigoschin, ein waschechter Nationalsozialist, steht natürlich weiterhin auf der Abschussliste der Putin-Getreuen, denn Putin hat durch ihn nun auch in Russland selbst sein Gesicht verloren. Die Tatsache, dass Prigoschin sich nun bei Lukaschenko aufhält, wirft neue Fragen auf. Lukaschenko war Putins Rivale beim Aufbau einer neuen Machtstruktur nach dem Zerfall der UdSSR. Zwar hatte Putin Lukaschenko geholfen, den Volks-Aufstand der Frauen gegen seine Person in Belarus zu unterwerfen, aber von Busenfreunden Putin und Lukaschenko können wir nicht wirklich reden. Und nun macht Lukaschenko vielleicht gemeinsame Sache mit Prigoschin um eine alte Rechnung mit Putin zu begleichen? Wer weiß.
Die Loyalität des Tschetschenführers und Präsidenten Tschetschenien von Putins Gnaden Ramsan Kadyrow, der seine Armee nun per Vertrag der russischen Armee unterstellt hat, spielt hier eine geringe Rolle. In den Augen Prigoschins und Lukaschenko dürfte Kadyrow als Russe zweiter Klasse betrachtet werden. Moskau hat sich in seiner langen Geschichte im Vielvölkerreich UdSSR immer als etnisch überlegene Elite gesehen, dass konnte bereits unter Stalin beobachtet werden, als noch die Ukraine zum Staatenverbund UdSSR gehörte und damals bereits in Moskau darüber gelächelt wurde: eigene Sprache, eigene Kultur, ja aber, nur bei volkloristischen Veranstaltungen.
Auch die Rekrutierung von russischen Soldaten erfolgte bisher überwiegend in fernen Provinzen der russischen Föderation, die Moskauer Eliten wurden bisher verschont. Russen zweiter und dritter Klasse kann man an der Front ruhig verheizen, denn sie sind auch unpolitisch.
Also mein Fazit: die gegenwärtigen Entwicklungen lassen nichts gutes hoffen: die Hardliner und Nationalisten sind in Russland auf dem Vormarsch. Bleibt die Frage, wie sich die andere russische Oposition um Alexej Nawalny und die stillen Oligarchen verhalten werden.
Eine sehr gute Analyse findet sich bei ZDFheute Live, wo der schweizer Militärökonom Marcus Keupp von der ETH Zürich sehr plausible Erklärungen rund um die aktuellen Geschehnisse liefert.
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