Ich bin über youtube auf einen Vortrag von Prof.em. Christian Hacke aufmerksam geworden, der für die Stiftung Demokratie Saarland (SDS) vor kurzem das Thema „Hintergründe zum Russisch-Ukrainischen Krieg“ behandelte.
Anders als derzeit viele - auch ich selbst - legt er seinen Fokus dabei darauf, auf politische Hintergründe hinzuweisen, die uns neben der aktuellen Aggresssion Putins auch deren Zustandekommen plausibel machen sollen.
Hacke verkommt dabei nicht zum „Putinversteher“ wie viele, die aktuell Kritik an den Waffenhilfen für die Ukraine üben, er versucht vielmehr den derzeitigen Krieg unter dem Aspekt „Aufstieg und Abstieg von Mächten“ einzuordnen und erkennt einen allgemein psychologischen volkspsychologischen Mechanismus von „Demütigung und Revanche“.
In der Tat kann in der Geschichte beobachtet werden, wie gedemütigte Völker sich immer wieder mit Revanchismus zu neuer Größe bringen wollten. Der Zerfall des Osmanischen Reichs und zuletzt der Zerfall der UdSSR machen dies deutlich. Meist handelte es sich um Vielvölkerstaaten, die bisweilen gebändigt durch autogratische Herrscher, nach ihrem Zerfall in ursprüngliche Nationalbestrebungen bestimmter Etnien zurückfallen. Im ehemaligen Jugoslawien konnte dies letztmals in Europa beobachtet werden.
Imperien und Großmächte kommen und gehen, der Mechanismus allerdings bleibt immer derselbe: man möchte als ehemals „Großer“ zurück zur Macht und zur Etablierung von früheren Einflusszonen auf der Welt. Der westliche Imperialismus hat, ich habe dies bereits in einem früheren Block beschrieben (Neue Weltordnung: etablierte Mächte gegen aufsteigende Mächte), bis zum 2. Weltkrieg das United Kingdom zur Hegemonalmacht gekürt, nach dem zweiten Weltkrieg haben sich die UdSSR und die USA um diese Rolle im Kalten Krieg gestritten.
Mit dem Zerfalls der Sowjetunion in den 90er Jahren entstand ein Machtvakuum im eurasischen Raum, für den sich insbesondere die USA interessierte und engagierte: schon bald wurde die Ukraine zum westlich demokratischen Vorposten des westlichen Machtbündnisses auserkoren, das ukrainische Militär wurde ausgebildet und mit Waffen versorgt.
Gab es unter Gorbatschow und Jelzin noch erhebliche Bedenken einer Erweiterung der NATO richtung Osten, und bezüglich der Ukraine das Ansinnen einer Neutralität, so wurde spätestens mit 9/11 von der USA eine klare Politik der Einflussnahme in fremden Staaten offensiv betrieben: Irak, Afghanistan usw..
Insofern macht Prof.Hacke plausibel, dass Russland spätestens mit der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 durch Putin verlauten ließ: bis hierhin und nicht weiter.
Der Westen hätte in den frühen 90ern die Weichen für einen neuen Umgang mit den eurasischen Staaten stellen können, hat er aber leider nicht. Nun haben wir eine Situation, in der zwei Staaten als Stellvertreter für zwei ehemalige Großmächte des kalten Krieges unaufhörlich wie zwei Züge aufeinander zurasen. Emanuel Macron war in Europa der erste und einzige, der sich bezüglich Putin um gesichtswahrende Maßnahmen bemühen wollte…ich selbst fand das damals noch völlig unangebracht angesichts der bereits begonnen Greueltaten des russischen Präsidenten in der Ukraine.
Wir erleben als Europäer durch den Ukrainekrieg gerade ein Schizophrenie: einerseits wollen wir gerade nationalistische Bestrebungen in Europa verhindern, andererseits fördern wir diese gerade in der Ukraine. Die mutige ukrainische Armee, der David, der sich gegen den Goliath behauptet, schürt nationalistische Gefühle, in Europa, aber besonders natürlich auch in der Ukraine. Frühere Verhandlungspositionen verfestigen sich zu Maximalforderungen nach dem Motto: „Gerechtigkeit statt Ordnung“.
Die Welt ist aber, war nie und wird nie eine gerechte sein - jedenfalls solange nicht, bis der Mensch eine entscheidende Wandlung vollzogen hat. Dies aber pragmatisch vorausgesetzt, den Mangel also an einer echten humanen Entwicklung des Menschen selbst, bleibt nur übrig, so der Vorschalg von Prof. Hacke: „Ordnung statt Gerechtigkeit“. Das bedeutet auch, dass die großen Herausforderungen der Menschheit nur gemeinsam von Demokratien und Autokratien bewältigt werden können.
Eine Wiederherstellung einer regelbasierende Ordnung statt das einseitige Einfordern von bestimmten westlichen Werten in Autokratien würde Not tun. Genau diese aber wurde natürlich mit dem Vertrag von Helsinki nach dem zweiten Weltkrieg etabliert und dann leider einseitig von Russland gebrochen: man erkennt die Grenzen souveräner Staaten der Nachkriegsordnung spätestens seit 2014 dort nicht mehr an, als Russland in der Ostukraine die dortigen prorussischen Seperatisten unterstütze und in der Krim einfiel.
Beide Kriegsparteien sind derart überworfen, dass für die Zukunft, egal wie diese aussehen mag, auf beiden Seiten nur noch Revanchismus übrigbleiben wird. Gerechtigkeit denkt immer in den Kategorien Strafverfolgung und Strafe, Ordnung versucht lediglich Regeln für ein Miteinander zu finden.
Menschenrechtsverletzungen und Bruch des Völkerrechts wurden aber nicht nur von Putin begangen, sie wurden auch von amerikanischen Präsidenten begangen, ohne dass diese je zur Rechenschaft gezogen wurden.
Quo Vadis?
Der sicherlich interessante Vortrag von Prof. Hacke „Hintergründe zum Russisch-Ukrainischen Krieg“
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