Die Türkei nach den Wahlen: „Stolz“ statt „Klugheit“

Präsident Erdogan mit der Fingergestik der radikal islamischen Moslembruderschaft
Fingergestik der „Grauen Wölfe“, einer uktranationalistischen Bewegung, welche ein grosstürkisches Reich anstrebt

„Stolz“ ist ein persönliches Empfinden, das sich in den Grenzen einer von „Hochachtung für sich selbst“ geprägten Weise, über Formen der „Selbstüberschätzung“ bis hin zu „Hochmut“ ausdrückt.


Recep Tayyip Erdoğan hat es erneut geschaft, die Wahlen in der Türkei für sich zu entscheiden, allerdings diesmal mit einer deutlich knapperen Mehrheit als in der Vergangenheit, mit Hilfe seiner allzeit treu ergebenen Anhängerschaft und der AKP, die ihn geradezu „messianisch“ verehren.


Ich hatte diesen Wahlausgang bereits in einem Blog befürchtet, denn er hat natürlich wie so oft erhebliche, psychologische Hintergründe, auf die ich diesmal gerne etwas eingehen möchte.


Erdogan hat nach seiner Wiederwahl eben diesen Anhängern gedankt und bereits in der Dankesrede abermals jegliche Gegner seines Weges für die Türkei sofort als Terroristen diskreditiert, ebenso wie die „westliche“ Presse, die ihn im Vorfeld der Wahlen aus seiner Sicht verhindern wollte und die nun gescheitert sei. Aber 52 Prozent gegenüber 48 Prozent für die Opposition spiegelt eine gespaltene Nation wieder, eine polarisierte Nation. Dies läßt den weiteren Weg der politischen und wirtschaftlichen Türkei erahnen. Erdogan ist also nicht der Führer aller Türken, es ist nur die Hälfte, die hinter ihm steht! 


Dass gerade die in Deutschland lebenden Türken, und gerade auch die jungen deutschen Türken, die in Deutschland geboren wurden, deutlich über 60 Prozent ihn gewählt haben, spiegelt ebenfalls ein manifestes, psycholgisches Problem wieder: will ich wirklich selber selbstbewusst sein oder will ich nur stolz sein auf mein Volk, auf seine Geschichte, auf meinen Führer?


Das tragische dabei ist zusätzlich, dass nicht nur die fast schon durch Erdogan gleichgeschaltete Medienlandschaft in der Türkei keinen fairen Wahlkampf für die Opposition ermöglichte, sondern dass auch exterem faschistische und nationalistische Kräfte und die Moslembruderschaft entscheidende Einflüsse bei der Wahl ausübten. Man betrachte die Bilder w.o., die die Fingergestik vieler Teilnehmer innerhalb der jubelnden Massen nach der Wahl abbilden: das Zeichen des Wolfes der ultranationalen „grauen Wölfe“ die wieder ein Großtürkisches Reich anstreben, und das Zeichen der vier Finger mit eingeknicktem Daumen der Moslembruderschaft, die teilweise einen radikalen Islam für die Türkei anstrebt, ein Handzeichen, das sogar Erdogan selbst immer wieder bei Auftritten vor seinem Volk bemüht.


Es gibt eine berühmte Geschichte im Buch Exodus, einem der 5 Bücher der Thora, die eigentlich auch für gläubige Muslime verbindlich sein sollten: die Geschichte berichtet von der anfänglichen „Knechtschaft“ des Volkes „Israels“ durch die ägyptischen Pharaonen, dem „Ausszug durch das Rote Meer“ unter Moses, dem „Tanz um das Goldene Kalb“ bis zur Ankunft im „gelobten Land“.


Wie so oft geben „heilige Schriften“ Weisheiten wieder, die religionsübergreifend allgemein menschliches Verhalten aufs genauste bildhaft beschreiben.


In „Knechtschaft“ befindet sich ein Volk oder ein Individuum, wenn es sich nicht selbst verwirklichen kann. Wenn es sich dann aus der Knechtschaft befreit hat, fängt es an, endlich an seine eigenen Kräfte zu glauben, leider dann notwendigerweise bis hin zur Selbstüberschätzung: da wird dann der ursprüngliche Gott der Befreiung durch selbst gegossene, goldene Gottheiten ersetzt, um die man dann Freudentänze aufführt. Der Spuk hört erst auf, wenn wirklich das „gelobte Land“ erreicht wird. Vergisst man einmal, dass mit „Israel“ weniger der heutige Staat Israel als Feind der islamischen Welt gemeint ist, sondern die hebräische Wortbedeutung „Jashar El“ oder auf deutsch „direkt zu Gott“, wird manches vielleicht klarer.


Die Geschichte zeigt, dass menschliche Entwicklung oft nicht in geraden Linien verläuft, sondern anhand wechselnder, tragischer Kipppunkte in der Biografie eines Volkes oder eines Individuums.


Wir Christen kennen das, wir Deutschen erst recht nach der Erfahrung des „Dritten Reiches“, die islamische Welt ist aber 500 Jahre jünger als die christliche, sie darf also noch viele Fehler auf ihrem Weg machen, muss es aber nicht. Man kann auch von den Fehlern anderer lernen: die christlichen Kreuzzüge, allgemein das christliche Sendungsbewußtsein hat viel Unheil auf der Erde angerichtet!


Aber haben wir hier in Deutschland tatsächlich den jungen, türkischen Mitbürgern so zugesetzt, dass diese nun meinen, sich hinter einem nationalistischen Stolz vor uns schützen zu müssen?


Und auch in der Türkei: da fallen durch ein Erdbeben, Allah sei uns gnädig, tausende Häuser wie Kartenhäuser in sich zusammen und verschütten Menschen. Häuser, die relativ neu auf Grenzen der kritischen Erdgeologie dort platziert wurden, deren Überprüfung der Bauqualität den Fachleuten aus den Händen genommen wurde, und der Fusch am Bau dann auch noch im Nachhinein amnestiert wurde durch eben diesen türkischen Staat und seiner Regierung, die nun versprochen hat, innerhalb eines Jahres alles wieder aufzubauen, mit wem aber und womit? Der nun nach der Wahl auf tiefstes Niveau abstürzende türkische Lira, der hausgemachten, immensen Inflation einer von Erdogan diktierten Zentralbankpolitik, die auf Zinserhöhungen verzichtet, ist dies der Weg?


Aber vielleicht ist das wedeln mit türkischen Fahnen und das Zujubeln für den selbsternannten Vater der Nation den meisten Menschen aus den obengenannten, psychologischen Gründen eben doch wichtiger, als eine echte Verbesserung der eigenen Lebensumstände. Aber gerade jene, die Erdogan am meisten unterstützen, leben ja zufällig in Deutschland, in dem die Lebensumstände wohl eher dem „gelobten Land“ entsprechen, als dem Stammland ihres Volkshelden.


Kultuerelle und religiöse Abgrenzung ist jedenfalls kein Weg zu einer humaneren Gesellschaft, wenn man sie denn überhaupt möchte. Ich weiß nicht wirklich, was in den Moschen in unserem Land oder den türkischen Kulturvereinen allgemein gelehrt und propagiert wird. Aber ich habe die persönliche Erfahrung gemacht, dass z.B. mein damaliges Interesse und meine Anfrage dort, das Musikinstrument der türkischen Nay zu erlernen, bei unserem türkischen Kulturverein nicht einmal eine Antwort wert war. 

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