Neben den konkreten staatstheoretischen Merkmalen einer Demokratie wie Voksherrschaft und Gewaltentrennung als Realisierung ihrer liberalen Elemente gibt es in ihr auch wertebasierende Prinzipien wie Wohlfahrt, Pluralismus, Rechts- und Sozialstaatlichkeit und Schutz des Privateigentums und der Unversehrtheit der Person, die sich zum Teil in den allgemein anerkannten Menschenrechten niedergeschlagen haben.
Dass sich gerade autokratische Systeme mit dieser Werteseite schwer tun, liegt auf der Hand: Führerpersönlichkeiten neigen zu persönlicher Kontrolle und Durchsetzung ihres als richtig aufgefassten Weges für andere und versuchen einen entsprechenden Machtapparat mit drakonischen Sanktionsmaßnahmen aufzubauen: Einschränkung der freien Meinungsäußerung, Gleichschaltung der Presse und Medien, Unterdrückung von Opposition, Einrichtung von Straflagern usw..
Aber auch demokratische Systeme erleiden bei diesen Werten eine Art Abnutzung durch Gewöhnung. Der durch demokratische Prinzipien wachsende Wohlstand hat seine gefährlichen Nebeneffekte nicht nur in einer entsprechenden demographischen Entwicklung hin zu weniger Kindern, nein, man nimmt zunehmend auch Annehmlichkeiten des Systems als Selbstverständlichkeiten hin und beklagt Unannehmlichkeiten immer mehr als Versagen der Herrschenden bis hin zu Verschwörungstheorien.
Der Kapitalismus und die Marktwirtschaft führte nicht automatisch zu mehr Wohlstand, erst eine demokratische und soziale Flankierung dieser Wirtschaftssysteme konnte ihn ermöglichen. Schaut man in das wirtschaftliche Russland nach Zerfall der UdSSR wird einem dies klar: weiterhin bestehende, autokratische Machtstrukturen und deren Seilschaften gepaart mit Kapitalismus alleine führen nur zu korrupten Eliten und schließlich zu Oligarchen: Wohlstand findet nur für eine Minderheit statt.
Werfen wir einen Blick auf westliche Demokratien heute, bei denen diese Abnutzungserscheinungen gefährlich hervortreten: Ungarn, Türkei und USA.
Der ungarische Premier Victor Orban, einst ein glühender Verfechter eine westlichen Annäherung macht eine 180 Gradwende auf Putins Russland zu: 1989 fühlte er sich noch durch Russland in eine asiatische Sackgasse gezwungen und forderte Freiheit, Demokratie und den Abzug russischer Truppen. Er führte Ungarn in die Nato und die EU. Nun nach 17 Jahren Amtszeit (!) mutiert Orban zum Statthalter Putins in der EU: er bremst vom ersten Kriegstag an die Brüssler Sanktionspolitik gegen Russland als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das Ölembargo lehnt er von Angang an ab. Er verhindert Sanktionen gegen den russischen Patriarchen Kyrill I, der dem slawischen Bruderland Ukraine jegliche eigenständige, nationale Kultur abspricht und Putins Ideologie somit in die Hände spielt.
Recep Tayyip Erdoğan nahm eine ähnliche Entwicklung und mit ihm „seine“ Türkei. Hatte er noch seit 1994-98 durchaus Gutes für Istanbul als dessen Bürgermeister bewirkt, von 2003-2014 in 3 Kabinetten als Ministerpräsident der Türkei agiert, so fanden seine autokratischen Bestrebungen spätestens mit seinem Verfassungsreferendum 2017 und der Umformung der Türkei in ein Präsidialsystem 2018 unter seiner Führung die konkreteste Ausformung. Seine AKP beherbergt alle Baulöwen, die durch Billigbauten und Fusch am Bau die erheblichen Schäden der Erdbeben erst verursachten und er selbst gewährte ihnen dann auch noch 2018 im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen eine Amnestie für betrügerische Bauunternehmungen: 438.000 Gebäude soll die Regierung im ganzen Land mit der Amnestie legalisiert und damit umgerechnet rund 2 Milliarden Euro kassiert haben. Dafür mussten bis jetzt ca. 51.000 Menschen ihr Leben lassen!
Was haben diese beiden autokratisch ausgerichteten Führerpersöhnlichkeiten - Orban und Erdogan - gemeinsam? Sie sind entgegen demokratischen Regeln zu lange an der Macht und tun alles in ihrem Land dafür, diese demokratischen Schutzregeln zu unterlaufen.
Erdogan polarisiert sein türkisches Volk in Befürworter und Gegner, insbesondere bei den Türken, die in Deutschland auf der einen Seite die echten Merkmale einer Demokratie genießen und auf der anderen Seite für ihre Volksgenossen in der Türkei in der Vergangenheit lieber einen Weg in die Autokratie in den Wahllokalen in Deutschland gewählt haben: Wasser predigen und Wein trinken!
Mit dieser Polarisierung rund um einen Autokraten kommen wir direkt zu Donald Trump und dem Verfall der republikanischen Kräfte in den USA.
Es ist nach demokratischen Rechtsverständnis schon erstaunlich, was das amerikanische Volk mit Donald Trump über sich ergehen lässt: Frauen können behandelt werden, wie es Männern gefällt, Lug und Betrug gehören zu neuen Staatswerten, Selbstbereicherung und Steuerhinterziehung sind an der Tagesordnung, gewaltsame Angriffe auf die Demokratie werden nicht nur toleriert, es wird sogar dazu aufgerufen, und die Wahrheit wird als Fake verkauft in Kampagnen wie Wahlbetrug, Witchhunt, Fake News und Deep State….ich habe bereits darüber in meinem Beitrag „Donald Trump, die unterschätzte Gefahr für den Weltfrieden..“ im Detail berichtet.
Noch erstaunlicher ist sein kürzlicher Auftritt bei CNN - selbst nach seiner jüngsten Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs der Autorin E. Jean Carroll in den 90er Jahren. Er gab im Prozess vor, das Opfer nicht zu kennen, es sei nicht sein Typ und als man ihm ein Foto mit dem Opfer zeigte, behauptete er, das dort seine Frau abgebildet sei…..wie dummdreist oder dement kann man eigentlich sein?
Bei CNN - diesmal nicht der Trump begünstigende Profitsender VOX-NEWS - musste sich die Moderatorin Kaitlen Collins vergeblich gegen einen auftrumpfenden Lügenbaron Trump erwehren. Auf die Frage, ob er die Wahlniederlage 2020 jetzt doch anerkenne antwortet Trump: „Wenn man nicht ein sehr dummer Mensch ist, dann sieht man, was passiert ist“ und spielt damit auf seine Hypothese des Wahlklaus an. Collins erwidert daraufhin, dass Trump und seine Unterstützer inzwischen 60 Prozesse vor Gericht diesbezüglich verloren hätten. Trump belegt Collins in der Folge mit dem sexistisch gefärbten Wort „nasty“ als fiese Person. Zu dem von ihm angezettelten Sturm auf das Capitol bemerkt er nur: der 6. Januar 2021 „sei ein schöner Tag“ gewesen. Über 140 Polizisten wurden laut Collins verletzt, worauf er nur antwortet, er würde viele dieser Patrioten begnadigen, falls er ins Weiße Haus zurückkehre. Während der Veranstaltung lacht das Publikum herzhaft, als Trump das Opfer seines sexuellen Mißbrauchs verhöhnte. Auch den Krieg in der Ukraine würde er dann wieder innerhalb 24 Stunden beenden, vermutlich mit seinen Kremlkontakten, die ihn damals bereits an die Macht brachten.
Selbst die Kommentatoren von CNN nannten diese Veranstaltung ein empörendes Schauspiel, bei der die Wahrheit keinerlei Chance hatte.
Wir sehen, was alles in modernen Demokratien möglich ist und was passieren kann. Diese Gefahr ist gleich hoch einzuschätzen wie die Entwicklung in autokratischen Gesellschaften und die daraus resultierende Gefahr für den Weltfrieden.
Neben einer Demokratiemüdigkeit und der allgemeinen Staatsverdrossenheit ist eine zunehmende, ideologische Polarisierung als explosives Gemisch in modernen Demokratien zu beobachten. Bildungsferne Schichten werden immer mehr manipuliert durch polarisierende Kräfte, die dies für sich zu nutzen wissen, mit Verschwörungstheorien und Social Media.
Dennoch können wir nicht einfach mit unseren demokratischen Werten schulmeisterlich in der Welt der autokratischen Systeme missionieren gehen. China und Indien z.B. hatten und haben in ihrer Geschichte nie ein missionarisches Interesse, sie haben schlicht wirtschaftliche Interessen. Wir als „Westen“ hingegen waren seit den Anfängen des Christentums immer missionarisch in der Welt unterwegs und haben mit diesen Werten letztlich fremde Staaten unterworfen und oder von uns abhängig gemacht. In der islamischen Welt sieht es ähnlich aus: sie konfrontiert uns mit islamisch motivierten Terrorismus. Die sogenannten monotheistischen Religionen - Christentum und Islam - sind haupsächliche Wegbegleiter für das heutige Unrecht in der Welt.
Dass wir heutzutage mit unseren Moral- und Werteappellen bei den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) auf wenig Gegenliebe stoßen, ist verständlich. Dennoch sollten wir aber klare Position hinsichtlich der inzwischen etablierten Menschenrechte beziehen - aber nicht lehrmeisterlich!
Werte können nicht angemahnt oder missioniert werden, sie werden übernommen, wenn sie überzeugen.
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Rüdiger Wehrenfennig (Freitag, 12 Mai 2023 20:34)
Da kann ich nur voll zustimmen!