Ich habe bereits einige Aufsätze über die aktuellen Konflikte in unserer Welt, über die systemischen- und wertebasierenden Auseinandersetzungen geschrieben: Kommunismus/Imperialismus, Sozialismus/Kapitalismus, Demokratie/Autokratie.
Nach Anhören eines Podcasts von Lanz&Precht zum Theme Indien als aufsteigende Macht und inzwischen bevölkerungsreichstes Land der Erde bin ich zu einer noch tieferen Analyse der aktuellen Weltkrise inspiriert worden: etablierte Weltmächte vs aufsteigende Weltmächte.
Dabei wird die wichtige Frage eines zukünftigen Umgangs der Kontrahenten miteinander aufgeworfen, nämlich soll oder kann das überhaupt noch wertebasierend erfolgen oder muss es doch nicht eher interessensorientierter erfolgen.
Derzeit hat ja eine wertebasierende Außenpolitik wieder Konjunktur, die moralisierend und missionierend auftritt und die westlichen Demokratien als moralische Lehrmeister für den Rest der Welt erscheinen lassen. Annalena Baerbock unterscheidet sich da ein wenig von ihrem Partei- und Regierungskollegen Robert Habeck: während letzterer unter ktitischen Augen bei fragwürdigen Herrschern um neue Wirtschaftsbeziehungen buhlte um die Energienot durch den Ukrainekrieg für Deutschland einigermaßen und rasch zu kompensieren, tritt Frau Baerbock selbstbewusst selbst vor einem Xi Jinping und seinem Außenminister Qin Gang mit erhobenem Zeigefinger westlicher Werte auf, und droht gar China im Falle von Waffenlieferungen an Russland. Nun, die Chinesen wissen das glaube ich für sich richtig einzuordnen, anders aber, als es Frau Baerbock vermutlich recht wäre.
Dass dieser „Rest“ der Welt dann aber nicht geneigt ist, bei einem völkerrechtwidrigen Angriffskrieg eines seiner Mitglieder auf eine junge Demokratie, sich auf die Seite der etablierten, sich überlegen gebärdenden Demokratieführer zu stellen, hat diese wiederum einigermaßen überrascht: Indien, China und Brasilien als wichtigste Staaten dieses „Restes der Welt“ haben eben nicht den Angriffsgkrieg Russlands auf die Ukraine verurteilt, sondern sich enthalten oder wie Brasilien ihr Votum für eine Verurteilung des völkerrechtwidrigen Angriffskrieges später relativiert.
Die jüngere Geschichte von Hegemonailmächten auf der Welt, also von „Welt-Führer-Mächten“ die als solche von anderen Staaten außerhalb von akuten Kriegssituationen als solche anerkannt waren und sind, läßt sich einteilen in jene vor und jene nach dem Zweiten Weltkrieg: davor hatte Großbritannien als das United Kingdom (UK) diese Rolle wohl inne, nach dem Zweiten Weltkrieg die USA. Mit dem Ausbruch des Ukrainekrieges bahnt sich nun ein weiterer Wechsel an, allerdings einer, den Putin sich wohl anders vorstellen dürfte.
Hatte das UK vor dem Zweiten Weltkrieg noch großen Einfluss in China, insbesondere die Kolonialherrschaft über Honkonk seit den Opiumkriegen im 19. Jahrhundert, das Großbritannien erst 1997 an China zurückgab, so war dies ebenfalls In Indien der Fall, bis Mahatma Ghandi und weitere innere, politische Umstände in Indien im zweiten Weltkrieg, als die Briten Indien noch als Militärbasis nutzten, es aber dann zu einer Selbsstständigkeit als zwei getrennte Staaten - Indien und Pakistan - entließen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg löste unbestritten die USA das UK als neue Hegemonialmacht ab.
Nun ist verständlich, dass Indien und China, die ehemals also durch „westliche Werte“ ausgebeutet und unterdrückt wurden, sich heute so ganz und gar nicht mit diesen Werten anfreunden können und dem Westen ganz allgemein eine Doppelmoral vorwerfen - zu Recht. Damit wird verständlich, warum diese Länder beim Ukrainekrieg nicht eindeutig Stellung für den Westen beziehen, denn sie wollten keine weitere Stärkung der Hegemonialmacht USA, sie wollen eher selber und unabhängig beim Weltgeschehen mitreden.
Gleiches gilt für die vielen kleinen „Enthaltungs“- Länder wie z.B. Südafrika, die ebenfalls „wertebasierend“ von uns heftig ausgebeutet wurden, was letztlich unseren einseitigen Wohlstand begründete auf Kosten der Armut in der Welt.
Was wir aber nicht wollen können ist eine weitere Bipolarisierung der Weltordnung nach der unipolaren Weltordnung unter Führung der USA durch den Untergang der UdSSR, sondern wir benötigen eine Art multipolarer Weltordnung.
Es gibt Analysten, die ein multipolares System nur als Übergangsphase begreifen und für instabil erklären. Untermauert wird dies meist mit historischen Entwicklungen, die das bestätigen sollen. Man muss aber klar erkennen, dass auch die USA sich wie einst GB derzeit im Niedergang befinden: die republikanische Bewegung dort und die neuerliche Möglichkeit eines Präsidenten Trump als ihren Vertreter, bestärken diesen Eindruck. Trump hat die Republikanter in Geiselhaft genommen, sie kommen an ihm quasi kaum vorbei, es sei denn, die vielen anlaufenden Prozesse gegen Trump machen diesem Spuk endlich ein Ende.
Wenn also die USA nicht mehr eine mono- oder bipolare Stabilität in der Welt garantieren können, wer dann?
Richard David Precht hat Recht: der alte Satz „wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ darf nicht mehr unser Denken vergiften. Man muss den aufstrebenden Mächten wenigstens zugestehen, dass sie nicht gleich den bisher etablierten von einem missionarischen Eifer geprägt sind, die Welt solle an ihren Werten genesen. Die chinesische und auch die indische Kultur, beide nie monotheistisch geprägt wie Christentum und Islam, kennen diese Art der Motivation einfach nicht.
Allerdings sind die heutigen Führungspersöhnlichkeiten Indiens und Chinas durchaus nicht budhistisch oder taoistisch geprägt, auch wenn der indische Ministerpräsident Narendra Modi, aus einfachen Verhältnissen stammend, sich gerne in Yogaposen der Öffentlichkeit stellt.
Indien strebt aber eher eine Blockfreiheit an und möchte sich in einer Auseinandersetzung USA-China nicht positionieren.
Die USA ihrerseits hat inzwischen aber, nach dem Untergang der UdSSR, China nun zum Hauptgegner erklärt. Europa tut gut daran, hier eine eigene Position zu bilden, vielleicht sogar im Zusammenschluss mit Indien und einigen afrikanischen Staaten.
Insofern ist der kürzliche Auftritt Emmanuel Macrons in China als „Good Cop“ nicht gänzlich verwunderlich, auch wenn der Russland-Ukrainekrieg eigentlich eine andere Haltung Europas gegenüber China anzeigen würde. Dafür war dann wohl Frau von der Leyen als „Bad Cop“ bei ihren Chinabesuch zuständig.
Beobachten wir die weitere Entwicklung des neuen Machtgefüges auf der Welt sehr aufmerksam und vergessen wir dabei nicht, wieviel wir Wohlstandsnationen zum gegenwärtigen Dilemma auf der Welt beigetragen haben.
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