Fakt oder Fake - die Gefahr bei sozialen Netzwerken

ARD und ZDF haben jüngst in ihren Dokumentationen „Die Machtmaschine - wie Facebook und Co. Demokratien gefährden“ (ARD) und „Fakt oder Fake - Wahrheitssuche im Netz der Lügen“ (ZDF) eindrucksvoll aufgedeckt, wie wir alle inzwischen einer Meinungsmanipulation ausgesetzt werden.


Diese möglich gewordene Manipulation der öffentlichen Meinung hat aus meiner Sicht aber zwei Seiten: einerseits wird auf der Anbieterseite der sozialen Netzwerke zu wenig Kontrolle ausgeübt, andererseits liegt es aber auch am unkritischen Verhalten der Konsumenten in den sozialen Medien.


Ich werde bezüglich des ersten Grundes, nämlich mangelnde Selbstkontrolle der Anbieter, auf die beiden oben genannten Sendungen kurz eingehen, dann aber auch auf den zweiten Teil, nämlich das Verhalten der Konsumenten, näher betrachten.


Selbstkontrolle oder staatliche Kontrolle der Anbieter


Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Instagram, YouTube und TikTok machen Milliardengewinne, nicht weil ihre originären User für ihre Dienste bezahlen würden, sondern weil diese Dienstleistungen über Dritte mittels Werbung und den Handel von persönlichen Daten indirekt finanziert werden. Dabei sind kluge Konsum-Algorithmen insbesondere in der personalisierten Werbung im Einsatz, die anhand der Konsumentendaten rasch ermitteln, was beim konkreten Konsumenten für Interessen vorliegen und dementsprechend Angebote gezielt unterbreiten. Dass hier der Weg zu einer Manipulation der Interessen selber nicht weit ist, liegt auf der Hand - denn Werbung soll ja gerade Interessen wecken.


Wir werden später sehen, dass bei dieser Art von marktkapitalistischer Infrastruktur im World Wide Web, bei der scheinbar kostenlos dem Verbraucher im Internet Informationen angeboten wird, ein dicker Pferdefuß verborgen ist.


Doch zunächst zu den Fakten, welche durch obige Sendungen der beiden öffentliche rechtlichen Sender aufgedeckt wurden.


Im Herbst 2021 erhebt die Whistleblowerin Frances Haugen des Meta-Konzerns mit über tausend gesammelten, internen Dokumenten des Konzerns, schwere Vorwürfe: Facebook und Instagram würden weltweit Demokratien gefährden, weil sie weniger das Wohl ihrer Nutzer im Blick haben, sondern ihren eigenen Profit. Frances Haugen wechselte 2018 von Google zu Facebook.


Die EU hat sich inzwischen in dem neuen Digital Services Act diesen Misständen im Internet zwar angenommen, aber auch hier wird über Lobbyismus immer noch wichtiges unterlassen.


Die bisherige Geschichte der Social Media Konzerne zeigt eindrücklich, wie immer wieder zu spät und zu zaghaft auf Missbrauch reagiert wurde.


Aaron Greenspan, ein Ex-Kommilitone von Mark Zuckerberg, dem Facebook Gründer, warnte bereits damals vor den später dann leider eintretenden Konsequenzen einer blauäugigen Vernetzung der Menschheit. Facebook verfügt aktuell über etwas 3 Milliarden Nutzer. 116 Millarden USD werden jährlich umgesetzt durch Facebook, Instagram und WhatsApp (im Meta-Mutterkonzern).


Studien belegen inzwischen, dass sachliche Inhalte 10 mal weniger als emotionale Inhalte konsumiert werden. Das bedeutet, dass Verschwörungstheorien wie z.b. durch die QAnon Bewegung verbreitet, bei denen behauptet wird, ein geheimes Netz von Eliten würde satanische und pädophile Praktiken betreiben und im Untergrund die politischen Geschicke lenken, zehnfach mehr konsumiert werden, als z.B. schlichte Wahlergebnisse und deren politisch-sozialen Hintergründe bei den beobachteten Wahlbewegungen in den jeweiligen Wählerschichten. Diese Verschwörungsbewegung wurde 2017 im Internet gestartet, und richtete sich damals gegen Hillary Clinton, Barack Obama und trat für den sogenannten Heilsbringer Donald Trump an.


Für den bekanntesten Anfang dieses Missbrauchs im Internet über Fake-News steht also der US-Wahlkampf von Donald Trump 2015, der seinerseits umgekehrt echte Fakten als Fake-News betitelt.


2016 bemerkte Facebook selbst, wie sich massenhafte Kommentare gegen Hillary Clinton verbreiteten. Der damalige Wahlkampfleiter Trumps für  Social Media, Brad Parscale, brüstet sich später sogar über diese erfolgreiche Wahlkampagne in Facebook, die überwiegend über personalisierte Werbung erfolgte. Man hat sich an eigentlich politisch Desinteressierte gewendet, die dann über Fake News radikalisiert und zu einer Bewegung vereint wurden. Ein Sicherheitsmitarbeiter in Facebook entdeckte kurz darauf, dass nicht nur Trump, sondern auch die russische Regierung mit Manipulationen in Facebook massiv begonnen hatte. Staatliche Hacker aus Russland verbreiten Dokumente aus Hillary Clintons Wahlkampfteam und schürten Verschwörungen wie z.B., sie hätte Mitarbeiter aus ihrem Team umbringen lassen, oder sie sei längst selber tot und von einem Double ersetzt worden usw..


Diese Methode Trumps findet Anklang 2017 in Deutschland bei der AfD. Die Kampagne richtete sich gegen die damalige Bundeskanzlerin Merkel und gegen Flüchtlinge. Die AfD hat sich hierfür aus USA Unterstützung geholt bei der Firma Harris Media, die soziale Medien für Kampagnen nutzt. Viele extreme und rechtsnationale Gruppierungen haben sich dieser Firma bereits bedient: z.B. Marine Le Pan von der Rassemblement National (bis 2017 Front National), die europafeindliche Ukip Partei in GB, die den Brexit anstrengte,  und in Israel Benjamin Netanjahu.


2017, Trump regiert bereits ein paar Monate,  entdeckt Facebook eine gewaltige Menge an Fake-Accounts russischer Herkunft. Eine russische Trollfabrik - International Research Agency (IRA) - die Fake-Accounts als US-Bürger eröffnete. Hillary Clinton wurde mit dem Teufel verglichen und es wurde Stimmung gegen Muslime gemacht. Facebook meldete dem amerikanischen Kongress zwar ein Problem und löschte diese Accounts, aber zwei Jahre später, 2019, zeigt sich immer noch ein unverändertes Bild.


Nach der Abwahl des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro durch den neuen Präsidenten Lula 2022, verhielt sich Bolsonaro ähnlich wie Donald Trump nach seiner Abwahl: man verbreitet in den sozialen Netzwerken die Lüge von Wahlbetrug. In Brasilien wurde dadurch ein Aufstand gegen den frisch gewählten Lula entfacht.


Auch in Russland geht es weiter: Cyber Front Z - das „Z“ steht für die Unterstützung der russischen Invasion. Es wurden Journalisten und Studenten in Russland geworben, die pro Tag jeweils ca. 200 Kommentare ins Netz stellten für ca. 400 USD pro Person/Monat. Cyber Front Z gehört  dem Oligarchen Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin, dem Chef der Söldnergruppe Wagner.


Auch in Amerika wiederholen sich diese Manipulationen: als Trump abgewählt wird, löscht Facebook den kurzzeitig modifizierten Algorithmus zur Verhinderung von Manipulation und installierte wieder den alten. Kurz darauf stachelt Trump über die Internetmedien den Sturm auf das Kapitol 2021 an. Später, wiedereinmal zu spät, wird sein Account auf Facebook dann gelöscht.


Inzwischen ist sein Account wieder verfügbar und der neue Algorithmus schließt neuerdings Politiker von Fake News Kontrollen aus.


Auch in der EU hat der Digital Service Act es nicht geschafft, personalisierte Werbung zu verbieten, dank der Lobbyistenarbeit der Werbeträger.


Man sieht, dieser erste Teil des Umgangs mit Social Media auf der Seite der Anbieter hat kaum Verbesserungen gebracht.


Kommen wir zur Seite der Konsumenten. 


Wie bei allen Fragen des Konsums spielt die wesentlichste Rolle aber der Konsument selbst. Bei Lebensmitteln z.B. kann die Industrie oder der Staat zwar Richtlinien zur Kennzeichnung der Inhaltsstoffe erstellen, letztlich aber muss der Konsument selbst ganz konkret in jedem Einzelfall diese Auszeichnungen der Lebensmittel hinterfragen und seine Ernährung darauf ausrichten.


Das ist beim Konsum von Informationen nicht anders. Leider ist das in der digitalen Welt beim Verbraucher noch nicht wirklich angekommen: woher stammt die Information, wer ist die Quelle, welche Absicht verfolgt die Quelle?


Das liegt an der inzwischen eingespielten Selbstverständlichkeit eines kostenlosen Konsums von Informationen.


Das kann zwar auch gut funktionieren, wenn man z.B. Wikipedia betrachtet, dort aber sind systemimanente Redaktionskontrollen implementiert, denn es geht ja um unser aller Wissen. Der Betrieb einer solchen Plattform ist natürlich teuer, insbesondere wenn man sich nicht mit Werbung finanziert. Daher bittet Wikipedia auch regelmäßig um Spenden. Ich z.B. habe mich viel bei Wikipedia bedient und habe daher ein Jahresabonement als Spende abgeschlossen. Aber wieviele Menschen geben freiwillig Geld für eine Dienstleistung, die ohne Bezahlzwang angeboten wird?


Hier beginnt das ganze Problem. Wer macht sich bewusst, dass jeder Chat, jeder Post Geld kostet durch Bereitstellung von Serverfarmen, Energieverbrauch und Personal? Wer wäre bereit, für Accounts bei Social Media Anbieter auch Gebühren zu bezahlen?


Da dies offensichtlich zu wenige sind, vertrauen die Anbieter auf das Geschäft im Handel mit den von ihnen erhobenen Daten. Die Gesetze des Kapitalismus und des freien Marktes dienen selten zu einer ausgewogenen Informationsvielfalt, wenn sie über Dritte laufen.


Aber auch das Verhalten des Informationskonsumenten ist untrainiert und oft auch naiv. Man kann sich mit Avatar-Accounts anonymisieren und veröffentlichen was man will - ohne Angst vor Konsequenzen, wie sie ja in der nicht digitalen Welt, der sogenannten analogen Welt, eigentlich zu recht bestehen.  


Fake News, bashing und mobbing sind an der Tagesordnung im digitalen Netz und erst wenn man selbst betroffen ist, wird man aufmerksam.


Die Gefahr für unsere Demokratie aber ist immens: autokratische Systeme mit ihrer restriktiven Informationsfreiheit, ihrer gesteuerten Propaganda, werden weniger unter diesen sozialen Netzwerken leiden, außer die eine oder andere Wahrheit findet ihren Weg zu den betroffenen Bürgern. Es ist aber ein Unterschied, ob Wahrheit oder Lüge verbreitet wird, und diese Beurteilung liegt letztlich in den Händen des Verbrauchers der Informationen.


Kann der Durchschnittsbürger aber Wahrheit von Lüge unterscheiden, oder will er das überhaupt?


Wir haben im Umgang mit Informationen eine natürliche Tendenz, Informationen zu bevorzugen, die bereits unserer vorhandenen Meinung entsprechen, diese also bestätigen. Genau hier setzen die Algorithmen von Suchmaschinen oder Social Media Plattformen an. Sie sorgen für eine Verstärkung und Verfestigung der vorhandenen Meinung und bieten Produkte an, die der eigenen, bestehenden Einstellung dienen sollen.


Verschwörungstheorien sind Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit mit herrschenden Systemen, die man selbst nicht mehr durchschauen kann, aber glaubt zu durchschauen. Gesellschaftliche Zusammenhänge werden immer komplizierter, und der Amateur-Demokratieteilnehmer degradiert sich zum Demokratieteilhaber: er genießt die Vorteile der Demokratie in Freiheit und Selbstbestimmtheit, vermag aber nicht mehr wirklich an der Gestaltung der Demokratie selbst fundiert teilzunehmen. Der übliche Wahlgang alle Vier oder 5 Jahre ist längst zu eine Art Lotteriespiel mutiert - leider. Wer setzt sich noch im Detail mit Wahlprogrammen der sich bewerbenden Parteien auseinander? Heutzutage wird mehr abgewählt als gewählt: man kann seine Enttäuschung eher mit den konkreten Ergebnissen einer bestehenden Regierung in Verbindung bringen, als seine Hoffnungen aktiv in Oppositionsparteien zu hinterfragen.


Das berühmte Stammtischgerede greift um sich und wird in den sozialen Medien auch noch verstärkt und multipliziert. Da erfährt schnell einmal ein nicht weiter hinterfragtes Schlagwort der Empörung eine Verbreitung wie ein Tzunami in sozialen Netzwerken.


Wenn wir nicht alle lernen, mit dem kostbaren Gut der Information sorgfältig und kritisch umzugehen, ist unsere Demokratie ernsthaft in Gefahr. In der digitalen Welt ist das von noch ganz anderer Bedeutung. Waren früher Printmedien und öffentlich rechtliche Sender, die ja einer redaktionellen Kontrolle unterliegen, durchaus politisch kategorisierbar - in links oder rechts - so sind heute gepostete Kommentare in sozialen Netzwerken nicht mehr so einfach zuzuordnen.


Dieser kritische Umgang mit Informationen kostet Zeit und benötigt eine gewisse Unvoreingenommenheit. Das ist bei der ausufernden Informationsvielfalt sicher nicht ganz einfach. Es erfordert ein Interesse an persönlich übergreifenden, demokratischen Zusammenhängen, die eben nicht immer in Form von ganz persönlichen Problemen in Erscheinung treten - man muss leider sagen: noch nicht!


Sich überwiegend nur um eigene Probleme als Privatmensch kümmern zu wollen, sich alspk politisch uninteressiert zu zeigen, bis vielleicht auf wenig reflektiertes und unkritisches Nachplappern von populistischen Fake-Behauptungen, die unsere bestehenden, demokratischen Systeme pauschal in Frage stellen, sind brandgefährlich, wie uns selbst unsere jüngste Geschichte lehrt, die unsere anfänglich demokratischen Bestrebungen unter einer Weimarer Verfassung  in der Zeitspanne 1919-1933 durch den aufblühenden Nationalsozialismus eines Adolf Hiltlers völlig untergraben hat und uns als deutsches Volk zutiefst beschädigt hat, vor den Augen der Welt, aber auch vor uns selbst.


Ähnliches geschieht gerade aber auch in Russland, bei dem ein Nationalsozialist, Faschist und Diktator namens Putin sein eigenes Volk gerade in den Abgrund reißt, durch ein Netz von Lügen und abstrusen Machtphantasien über ein „herausragendes, überlegenes russisches Volk“…..kommt uns das nicht bekannt vor?


Es wundert daher auch nicht, dass gerade Rechtspopulisten den Täter lieber als Opfer beschreiben: Putin sei eigentlich eher ein Opfer eines westlichen Imperialismus unter Führung der USA…..


Was also ist Wahrheit, und was ist Lüge? Ein Anhaltspunkt wäre, was letztlich mit den betroffenen Menschen in den ensprechenden Systemen tatsächlich geschieht, und welche Haltung man selbst der Rolle des Individuums im Verhältnis zum jeweiligen Staatssystem beimißt.

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