Spätestens seit dem von Putin initiierten Krieg durch seinen Überfall auf die Ukraine muss man vielleicht auch mal neu über Sahra Wagenknecht nachdenken. Warum?
Ich selbst habe große Hochachtung vor ihrem scharfen Verstand zu allen Themen der Gesellschaft: ich Teile ihre Kritik am Kapitalismus, an der Komplexität von Demokratien von großen politischen Gebilden wie z.B. der EU, an dem zunehmend Konflikt zwischen armer und reicher Bevölkerung auf dieser Erde, an der allgegenwärtigen Präsenz von Korruption und sogar einen großen Teil ihres Antiamerikanismus, vor allem denjenigen, der auf den bis heute vorherrschenden imperialen Bestrebungen beruht. Ihr Buch „Reichtum ohne Gier“ hat mir diesbezüglich sehr imponiert.
Ich war daher sogar kurz geneigt, der LINKEN in meinem örtlichen Umfeld beizutreten, da allerdings wehte mich dort ein anderer Wind an: Frau Wagenknecht würde sich nicht an Abstimmungen beteiligen, sich kaum um abgestimmte Strategien mit ihren Parteifreunden kümmern, im Gegenteil: sie würde einfach ihr eigenes Ding machen. Es herrscht viel Frust über sie bei den LINKEN. Ich war aber zu diesem Zeitpunkt geneigt, ihren Thesen mehr zu folgen als denen der offiziellen LINKEN.
Aber spätestens seit der Corona-Pandemie und erst recht jetzt im Ukraine-Krieg hat sich bei mir fundamental meine Einstellung zu ihr gewandelt. Und das nicht nur, weil meine Meinung bei diesen Themen von der ihren erheblich abweicht, sondern auch, weil ich eine Veränderung bei ihr feststelle, was den früheren, klaren Blick zunehmend vermissen lässt. Ebenfalls besorgt mich, dass ihre Empathie mit ihrem starken Intellekt nicht mehr mithalten kann.
Ich werde den Fokus auf ihre Stellung zum Ukraine-Krieg legen, insbesondere wie sie diese in den letzten Talksendungen bei „Maischberger“ und „Hart aber Fair“ und auch mit dem „Manifest für Frieden“ konkretisiert hat.
Sehen wir kurz einmal davon ab, dass Frieden doch eigentlich jeder will, übrigens auch die USA, ebenso wie Verhandlungen - eine Binsenweisheit eigentlich - das dürfte augenscheinlich aber eben nicht auf Putin zutreffen, der persönlich und über seine Marijonetten im Kremel keinen Tag verstreichen lässt um klarzustellen, was seine Kriegsziele geopolitisch sind.
Natürlich wird Frau Wagenknecht mir bezüglich des Friedenswillens der USA heftig widersprechen und dabei zu Recht auf vergangene, auch rechtwidrige, kriegerische Interventionen der USA z.B. im Irak-Krieg verweisen. Aber das ist zugleich auch bereits der erste Fehler in ihrem Argumentationsgebäude.
Frau Wagenknechts Argument ist ja auch folgendes: man stecke zu wenig Energie in Verhandlungen, wobei sie den Nachweis hierfür einfach nicht erbringen will. Für sie findet gerade lediglich eine Spirale der Gewalt statt, die durch immer neuere Waffenlieferungen seitens des Westens angefeuert wird. Der Urheber wird dabei zwar artig als Putin identifiziert, aber dabei bleibt es dann nicht. Denn die waren Gründe liegen für sie ja tiefer: es ist das vom Westen ignorierte Sicherheitsbedürfnis Russlands, das durch eine sich immer mehr nach Russland hin ausdehnende NATO ignoriert wird. Hier habe ich den zweiten Fehler in ihrem Gedankengebäude identifiziert.
Mit einem hat sie natürlich recht: bei den NATO- Mitgliedern wird gerade die Rüstungsindustrie wieder angeworfen, die seit 20 Jahren keine staatlichen Aufträge von einer deutschen Bundesregierung mehr erhalten hat - warum auch, die USA hat uns ja schließlich erfolgreich beschützt, auch wenn wir wegen ihrer Maßnahmen in der damaligen Friedensbewegung, z.B. die Aufstellung von Pershing-II Raketen in den 70ern, auf die Straße gingen - ich brigens auch.
Aber wir sprechen ja schließlich von einer Zeitenwende, manche sogar von einem Epochenbruch: seit dem 2. Weltkrieg, als alle Staaten, sowohl Sieger als auch Besiegte, sich einig waren, dass die nun festgelegten Grenzen in Zukunft unverrückbar bleiben sollen. Fortan wurde in unsere Verfassung das Friedensgebot aber auch die Wehrhaftigkeit gegenüber Verstößen gegen dieses Friedensgebot verankert.
Spätestens 2014 nun hat Putin diese international getroffene, geopolitische Entscheidung mit Füßen getreten, wenn wir die früheren Überfälle auf Tschetschenien und Georgien mal kurz vernachlässigen: er hat durch inoffizielle Soldaten die Krim einnehmen lassen und erstmalig den Donbas überfallen…nach seiner Lesart ist er dort der russischen Bevölkerung zur Hilfe gekommen, die vom ukrainischen Nazi-Regime drangsaliert werden würde.
Bereits damals wurden Verhandlungen im Sinne einer Sahra Wagenknecht geführt, mit dem Erfolg, den wir 8 Jahre später nun beklagen können. Seitdem ist Putin nicht wirklich verhandlungsbereiter geworden, im Gegenteil.
Nun meint ja Frau Wagenknecht, dass man doch nicht nur mit jenen verhandeln solle, die verhandlungsbereit wären, was grundsätzlich nicht falsch ist, aber man hat dann auch eine Verantwortung für die weiteren Auswirkungen solcher Verhandlungsergebnisse. Diese werden von Frau Wagenknecht lapidar mit „Sicherheitsgarantien“ umschrieben - wie das genau aussieht und wer für diese dann einstehen soll benennt sie nur wage: UNO-Blauhelme.
Derartige Sicherheitsgarantien wurden der Ukraine bereits 1994 mit dem Budapester Memorandum gegeben: Russland, Großbritannien und USA versicherten den ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken Kasachstan, Belarus und Ukraine territoriale Integrität zu, wenn sie dem Atomwaffensperrvertrag beitreten würden. Das taten sie und übergaben ihre Atomwaffen an Russland. Ein paar Tage später fiel Putin in Tschetschenien ein.
Es stellt sich bereits hier die Frage: wer muss eigentlich vor wem Angst haben, und wer kann eigentlich wem vertrauen? Die direkten Anreiner Russlands haben das bereits für sich entschieden - Frau Wagenknecht.
Weiter sieht Frau Wagenknecht die Neutralität der Ukraine als Verhandlungsgegenstand und natürlich ggf. auch die Preisgabe von territorialen Gebieten der Ukraine - ganz nach den Wünschen des Aggressors Putin. Natürlich möchte sie aber keinesfalls einen Diktatfrieden!
Was Neutralität für sie bedeutet - keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, oder ob das dann auch gleichzeitig bedeuten müsse: keine EU-Mitgleidschaft - bleibt sie erneut schuldig. Aber für sie ist kar: Selenski kann doch nicht darauf beharren, die Krim befreien zu wollen. Hingegen darf Putin aber weiter darauf beharren, dass er mit Gewalt sich fremdes Territorium aneigenen kann.
An dieser Stelle werde ich den Verdacht nicht los, dass der alte linke Hintergrund von Frau Wagenknecht ihr einen Streich spielt: Antiamerikanismus, Antikapitalismus sind ja typische Werte der LINKEN, die dabei mit den Sympathien für den ehemaligen sozialistischen Bruder spielen. Frau Wagenknecht ist zwar nicht von Putin gekauft, aber sie spielt ihm zweifelsohne in die Hände - und nicht nur ihm.
Aber eins nach dem anderen. Der erste Fehler in ihrer Argumentation:
- Die USA haben kein Interesse an Frieden, sie wollen in der Ukraine lediglich Machteinfluss gewinnen
Ich glaube nach Vietnam, Korea, Afghanistan usw. hat sich politisch in den USA einiges verändert, was das Engagement mit Waffengewalt in anderen Teilen der Welt betrifft. Natürlich will die amerikanische Waffenlobby verkaufen, aber bei der zögernden Haltung zur Lieferung des amerikanischen Adams-Panzers, der erst auf Druck von Olaf Scholz hin der Ukraine zugesagt wurde, wird exemplarisch deutlich, wie Amerika inzwischen über solche Dinge denkt.
Sicher, es gab entgleisende Worte des amerikanischen Verteidigungsministers, was das Niederwerfen Russlands durch die Ukraine betrifft, aber qualitativ und quantitativ gab es sicher mehr verbale Entgleisungen von Putin, dem Kremel und der Staatsduma.
Der zweite Fehler:
- die Sicherheitsbedürfnisse Russlands wurden von der NATO mit Füßen getreten
Seit dem Verfall der UdSSR wurden in weitreichenden Verhandlungen zwischen Russland und dem Westen, teilweise auch in Gesprächen der Erweiterung der NATO um Russland, Vereinbarungen mit Russland getroffen. Das Putin zu diesen nicht stehen kann und sich lieber auf nicht ratifizierte Aussagen bei den Verhandlungen rund um die deutsche Einheit mit seiner Enttäuschung beruft, steht auf einem anderen Blatt.
Die Faktenlage aber stellt historisch eindeutig sicher, dass unter „Osterweiterung“ nicht verstanden wird, dass direkte Nachbarn Russlands der NATO nicht beitreten dürfen, das wurde ausdrücklich von Jelzin durch Verzicht auf ein russisches Vetorecht diesbezüglich ratifiziert, sondern es bedeutet, dass keine Atomwaffen oder Langstreckenwaffen in den Beitrittsgebieten installiert werden dürfen.
Da die Ukraine ihre Atomwaffen 1994 an Russland - also Putin - übergeben hat, besteht kein Grund, dass die Ukraine nicht der NATO beitreten könnte, und es besteht erst recht kein Grund für Putin, eine Bedrohungslage daraus zu konstruieren. Dass Putin hier faktisch anders handelt als er immer wieder als Drohung und Rechtfertigung verlauten lässt, zeigt gerade auch sein Umgang mit der finnischen Grenze, also mit einer Grenze eines zukünftigen NATO-Mitglieds. Er zieht dort nämlich gerade seine Truppen aus lauter Bedrohungsangt ab, um sie bei der Eroberung der Ukraine einzusetzen.
Wenn also Frau Wagenknecht sich unbedingt zum Sprecher für die Ängste eines Putin machen möchte, um auf die vergangenen Fehler des Westens den Hauptaugenmerk abzulenken, bitte schön….aber es ist schlicht eine Ablenkung und eine Mißachtung der Tatsachen.
Während also Frau Wagenknecht Putins Ängste beschwichtigt sehen möchte, möchte sie gleichzeitig in der neuen von ihr einberufenen Friedensbewegung umgekehrt im Westen diese Bedrohungsängste gerade erst richtig schüren. Dritter Weltkrieg und Atomkrieg sind die Szenarien, die sie an die Wand malt, wenn man weiter und immer mehr Waffen liefert - wieder spielt sie der russischen Propaganda in die Hände. Aber das liegt natürlich nicht in ihrer Verantwortung, ebensowenig wie die Tatsache, dass sich gerade die Rechtsradikalen, Reichsbürger und Querdenker in ihrer neuen Bewegung rekrutieren - auch hier gibt sie das artige Statement: ich habe mich auf dem Podium davon distanziert - wie nett!
Frau Wagenknecht lässt auch jegliche Empathie für das leidende ukrainische Volk vermissen. Sie kann soetwas nur abstrakt formulieren: im Krieg wird eben gestorben und vergewaltigt, deshalb muss man ihn ja beenden. Es wird aber auch Heimat verloren, geliebte Menschen und das politische System, dem man in Freiheit angehören möchte. Sie muss sich auch persönlich vor Ort kein Bild davon machen, wie speziel und nur die russischen Besatzer - die UN hat keine Belege für ukrainische Übergriffe - menschenverachtend mit Menschenleben umgehen - sie kann das ja schließlich alles aus der Ferne viel besser recherchieren. Und die Bücher lehren ja: im Krieg wird auf allen Seiten vergewaltigt.
Umfragen des Volkswillens in der Ukraine, der weit über 90% für einen weiteren Widerstand einsteht, werden als unglaubwürdig abgetan, lieber wird gegenteilig darauf hingewiesen, dass 15.000 junge ukrainische Männer doch daran gehindert werden, sich der Einberufung zum urkainischen Militär zu entziehen um dem Wahnsinn des Krieges zu entrinnen. Es kommt am Ende immer ein ABER, das für sie stärker wiegt als das artig von ihr formal Anerkannte.
Auf das stärkste Argument ihrer Widersacher allerdings hat sie keine Antwort: was passiert, wenn ein Aggressor mit seinem Handeln des scheibchenweisen Aneignens von fremdem Territorium in Europa ungehindert recht behält? Er wird so weiter machen. Und wo wird das dann enden, Frau Wagenknecht? Ist diese konkrete Angst vor einer Ausbreitung des Krieges aus diesem Grunde nicht viel realistischer, als das Bangen darum, Putin könnte auf den roten Knopf drücken? Würde er oder würden seine Gefolgsleute, korrupte Oligarchen mit einem unbändigen Lebenswillen für einen westlichen Lebenstil im Luxus, einem kollektivem Selbstmord wirklich zustimmen?
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