Gegenmeinung zum „Manifest für Frieden“

Die neue Petition „Manifest für Frieden“ - initiiert von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer - macht zunächst eine korrekte Bestandsaufnahme über das besondere Grauen dieses speziellen Krieges, der für Putin aber ja gar keiner ist, sondern nur eine militärische „Spezialoperation“. Der erste Fehler in der Argumentation: wie will man Frieden schließen mit jemandem, der sich überhaupt in keinem Krieg wähnt?


Eine m.E. realistischere Einschätzung der Kriegssituation und möglicher Verhandlungszeitpunkte und Verhandlungsvoraussetzungen in der Zukunft wurden ebenfalls am 14.02.23 bei Maischberger in der Diskussion mit den beiden Experten Rüdiger von Fritsch und Carlo Masala gegeben. Auch diese Experten nehmen eine kritische Stellung gegen dieses Manifest ein.


Es wird in dem Manifest dann ebenfalls korrekt festgestellt, dass viele Menschen in Europa Angst vor einer Ausweitung des Krieges haben.


Nun kommt allerdings die erste falsche Schlussfolgerung der Petition: man bringt diese Angst mit dem Handeln des Westens in Zusammenhang, mit den Waffenlieferungen an die Ukraine zu deren Verteidigung gegen den russischen Überfall.


Der realistischere Grund für solch eine Angst besteht umgekehrt aber darin, dass eine Clique von ewig Gestrigen im Kremel unsere westlichen Demokratien, unsere Werte, und unsere pluralistische Lebensweise derart verachten, dass in düsterster Propaganda, die nur noch von Hitler-Deutschland übertroffen wurde, bis vor kurzem noch mit atomarer Vernichtung gedroht wurde. Das ist Ausdruck einer neuen Stufe eines östlichen Imperialismus, der ehemalige Sowjetrepubliken, die nach dem Zerfall der UdSSR Unabhängigkeit von einem stalinistisch geführten Russland erhalten hatten, versucht wieder mit Militärgewalt sich anzueignen.


Die Petition erkennt zwar die Rechtswidrigkeit und Grausamkeit des russischen Überfalls auf die Ukraine stereotyp an, verdrängt aber gleichzeitig die Tatsache, dass mit diesem Überfall, nach Tschetschenien und Georgien, genau diese Strategie der gewaltsamen Wiedervereinigung zu einem vom Kremel geführten, neuen Großreich stalinistischer Prägung begonnen wurde. Es spielt keine Rolle, ob ein Imperialismus u.a. wirtschaftliche Vorherrschaft unter dem Vorwand der Verteidigung der Demokratien auf der Welt anstrebt (USA), oder ob er sich ideologisch und militärisch wieder als Großmacht etablieren möchte (Putins Kremel): Imperialismus ist ein Anachronismus!


Die Petition spielt im Gegenteil genau mit jenen unrealistischen Ängsten, die diesem neuen Kremel-Imperialusmus in die Hände spielt: sollte die Krim von der Ukraine zurückerobert werden, könnte Putin zu schlimmsten Maßnahmen greifen.


Es ist ausgesprochen friedensnaiv und auch feige zu glauben, irgend ein territorialer Kompromiß zu diesem Zeitpunkt könnte die Waffen auf Dauer zum Schweigen bringen: der erste Versuch in diese Richtung ist ja bereits 2014 erfolgt und grandios durch Einnahme der Krim und Einfall russischer Streitkräfte in den Donbas gescheitert.


Warum meint man eigentlich, das würde dieses mal anders sein, Zweckoptimismus, oder Verzweiflungsoptimismus?


Weiter wird militärisch argumentiert und es wird ein General zitiert (einer!), dass die Ukraine zwar Schlachten, aber keinen Krieg gegen die Atommacht Russland gewinnen kann. Umgekehrt lernen wir von einem Richard David Precht aber, dass Russland angesichts der ukrainischen Landmasse über eine Million Soldaten benötigen würde, um die Ukraine einnehmen zu können. Kann Putin also überhaupt gewinnen, Atommacht hin oder her?


Wieder ein wenig durchdachtes Argument, denn der aktuelle Krieg erfolgt konventionell und wird auch konventionell bleiben, denn die Befürworter im Kremel wollen zwar eskalieren, sie wollen aber nicht ihre Privilegien in Russland, aber auch im Westen nicht wirklich verlieren. Die Tatsache eine Atommacht zu sein, kann hier realistisch keine zusätzlichen Ängste schüren, dafür sorgt auch die atomare Abschreckung der NATO noch.


Wenn die Ukraine aber den Krieg nicht gewinnen kann, so kann ihn auch Putin nicht gewinnen, aber nur, wenn der Westen weiterhin Waffen in die Ukraine liefert, modernere als Putin besitzt, um seine quantitative Überlegenheit wenigstens qualitativ auszugleichen.


Liefert der Westen aber keine Waffen mehr, ist die vollständige Einnahme der Ukraine durch Putin wahrscheinlicher, als umgekehrt mit weiteren Waffenlieferungen eine Rückeroberung der Krim durch die Ukraine zu erwarten wäre.


Die Petition versteht sich wiedermal als Aufforderung an den deutschen Bundeskanzler, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden - doch worin würde dieser Schaden denn eigentlich realistisch bestehen? Dass ein erneut nicht in die Schranken gewiesener Despot im Kremel mit seinem aggressiven Handeln abermals Recht behält? Dass wir gleichzeitig unsere Solidarität mit der Ukraine militärisch aufkündigen, ein großes Land auf dem Weg zur Demokratie im Strich lassen? Dass der Imperialismus des Kremel einen Sieg gegenüber der Freien Welt erringt und im offen vorliegenden Plan der Unterwerfung ehemaliger Brudervölker voranschreiten kann, mit ethnischen pervertierten Begründungen? Was wäre mit einem derartigen Ansehensschaden der Bundesrepublik im Westen, ein erneutes Scheitern wie 2014? Ein erneuter Beweis westlicher Dekadenz für den Kremel.


Können wir tatsächlich in Europa einen neuen Stalin akzeptieren und mit ihm einfach mal einen Kompromiss aushandeln, um einen zweifelhaften Waffenstillstand auf Zeit zu erzielen?  


Und welche Rolle darf das ukrainische Volk bei diesem „Frieden um jeden Preis“ Ansatz überhaupt noch spielen? Frau Wagenknecht bezweifelt ja gerade die aktuellen Umfragen in der Ukraine für eine weitere Verteidigung und bezieht sich dabei zynisch auf 15.000 junge Ukrainer, die sich der Wehrpflicht entziehen wollten, bezweifelt aber auf der anderen Seite keinesfalls die fragwürdigen, mit Waffenbegleitung erzwungenen Umfragen in den besetzten Kriegsgebieten, die zur Annektion durch Russland geführt haben.

Wem wollen wir eigentlich noch glauben?


Es erschüttert mich, dass unser Pazifismus weiterhin einer eigenen Wehrlosigkeit frönt und statt dessen weiter auf den großen Bruder USA vertraut und dass er die Zeitqualität für erfolreiche Verhandlungen völlig mißachtet. Dass westliche Regierungsschefs anfang des Krieges bei Putin Schlange standen und wie dumme Schuljungen behandelt wurden, an einem riesigen Tisch, und eine pseudohistorische Lektion des Kremelchefs erhielten, statt ernstzunehmende Zugeständnisse, wird peinlichst verschwiegen.


Es geht nicht darum, Blutvergießen sofort zu beenden, es geht darum, es auch zukünftig zu vermeiden, durch eine Wehrhaftigkeit, die aggressive Despoten in die Schranken weist.


Man muss die Sprache des Verhandlungspartners sprechen, wenn Verhandlungen erfolgreich sein sollen.


Das erstrebenswerte Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ kann sich erst realisieren, wenn aggressive Autokratien der Vergangenheit angehören.

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