Apell „Waffenstillstand jetzt“

Sehr geehrter Herr Precht, Sehr geehrter Herr Welzer,


Sie sind doch beide der Auffassung, dass die aktuelle Diskussionen um den Krieg in der Ukraine zu waffenlastig sind und diplomatische Ansätze sträflich vernachlässigt werden, richtig?


Sie führen dies u.a. auch auf die „Einseitigkeit“ der Medien zurück, die Ihrer Ansicht nach eher eine „veröffentlichte Meinung“ für weitere Waffenlieferungen gestalten, statt der von Ihnen propagierten Zurückhaltung bei Waffenlieferungen zu folgen,  um einer öffentlichen Sorge vor einer Ausweitung des Krieges und der Ausweitung seiner grausamen Mittel bis hin zur Verwendung atomarer Sprengköpfe, kurzum einer Eskalation, entgegenzuwirken.


Sie haben beide den Apell „Waffenstillstand jetzt“ in der Zeitschrift ZEIT unterschrieben, der von den westlichen Unterstützern der Ukraine dringend fordert, endlich größere Anstrengungen zu unternehmen, die Kriegsparteien an einen Verhandlungstisch zu bekommen, um das Sterben auf beiden Seiten endlich zu beenden.


Sie fragen aber nur einseitig in Ihrem Apell nach den Kriegszielen der westlichen Unterstützer und der Ukraine, nicht aber nach denen des russischen Agresssors Putin. Daraus resultiert ihre reflektorische Angst: wenn wir zuviel machen, droht Eskalation. Es ist aber umgekehrt: die originären Kriegsziele Putins sind es, die uns ängstigen müssen, denn sein eigentlicher Feind sind die westlichen Demokratien. Eine mögliche Eskalation ist nicht reflektorisch an eine spezielle Art der Hilfe für die Ukraine in der Zukunft gekoppelt, sie ist originär bereits in Putins Kriegszielen seit dem Überfall auf die Ukraine von Anfang an angelegt.


Sie schließen aber auch die Möglichkeit eines Diktatfriedens durch Putin aus, ohne Argumente liefern zu können, wie sowas denn ganz praktisch funktionieren könnte und Sie schließen auch aus, dass eine von außen der Ukraine verordnete Aufgabe von Rückeroberungszielen verlangt werden könnte. Sie erkennen aber auch an, dass Maximalforderungen der Kriegsparteien in einer Kriegssituation üblich sind.


Sie, Herr Precht, haben jüngst konkretisiert, wie Sie sich einen Schritt in die von Ihnen beiden vorgeschlagene Richtung vorstellen: mindestens eine westliche Unterstützermacht solle gegenüber Putin mit ihrem Vetorecht als Garant auftreten, dass die Ukraine nicht der NATO beitritt. Dabei kommt es Ihnen auf die richtige „Formulierung“ einer solchen Absicht an.


Ich kann nicht erkennen, dass ein mögliches Veto eines NATO-Mitgliedes gegen den NATO-Beitritt der Ukraine Herrn Putin irgendwie bewegen könnte, am besten können Sie das verifizieren, als Herr Erdogan den Beitritt von Finnland und Schweden verhindern wollte und aus Mauskau daraufhin eine gewisse Gleichgültigkeit signalisiert wurde.


Zur Erinnerung: Bei direkten Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland bereits im März in der Türkei hatte die ukrainische Regierung Moskau Neutralitätsgarantien und den Verzicht auf einen Nato-Beitritt angeboten, sowie Verhandlungen über den Status der Krim. Die Gespräche führten seinerzeit nicht zu einem Erfolg.


Durch die jüngsten Verteidigungsfortschritte der Ukraine gegen die russische Armee hat Selenskyj also nun, nach früher anfänglich in Aussicht gestellten Zugeständnissen an Russland, nun wieder Maximalfoderungen seinerseits ins Spiel gebracht: Rückeroberung aller von Russland illegal besetzter Gebiete bei gleichzeitigem Verbot jeglicher Verhandlungsbereitschaft mit Putin selbst.


Die Maximalforderungen Russlands hingegen sind seit Kriegsbeginn unverändert: Vernichtung des nazistischen Systems in Kiew, Angliederung der gesamten Ukraine. Gleichzeitig hat Putin erneut eskaliert: Annektion der besetzten Provinzen, für die es wegen der aktuellen Kriegshandlungen aber keine stabilen Grenzen geben kann, aufgrund von völkerrechtswidrigen Schein-Referenden in den besetzten Gebieten und der bisher erfolgreichen Gegenoffensive der Ukraine in diesen Gebieten.


Ihr Vorschlag, Herr Precht, würde also jetzt gegen beide von Ihnen selbst aufgestellte Regeln bereits verstoßen: Sie müssten Selenskyj neuerdings zwingen, mit Putin zu verhandeln, wobei letzterer nie jemals dazu bereit war, mit Selenskiyj überhaupt zu verhandeln, oder eben „über Selenskyj‘s  Kopf hinweg“ mit Putin verhandeln, und die Verhinderung eines Diktatfrieden Putins ist ebenfals durch die völkerrechtswidrige Annektion der vier Provinzen durch Putin nichts weiter als eine leere Worthülse, denn nach russischer Gesetzeslage ist Putin verpflichtet, russisches Staatsgebiet nicht wieder aufzugeben.


Auch die von der LINKEN immer wieder angebrachte Argumentation, dass Herr Erdogan doch über Verhandlungen mit Russland die teilweise Getreidelieferungen der Ukraine endlich ermöglicht hätte, und es daher doch möglich sein müsste, dass dann doch mächtigere Verhandler in der Lage sein müssten, einen Waffenstillstand zu bewirken, ist ziemliches Wunschdenken.


Ich werfe den Gegnern von Waffenlieferungen an die Ukraine im aktuellen Konflikt vor, dass sie die Intensionen Putins, sein Glaubensgebäude und seinen Durchsetzungswillen, übrigens seit über 20 Jahren, keinesfalls begriffen haben: er handelt nur nach dem Gesetz des Stärkeren - ich füge hinzu leider! 


Er betrachtet sich selbst ohne Zweifel bis vor Kurzem noch als den Stärkeren - man vergleiche sein Verhalten beim Besuch europäischer Staatschefs seit dem Krieg. Der sich als „stärker“ Empfindende hat nicht wirklich Bedrohungsängste, auch keine, die durch NATO-Erweiterungen entstehen könnten - nochmals sei seine gleichgültige Reaktion auf die Beitrittsverhandlungen zur Erweiterung der NATO durch Finnland und Schweden erwähnt. Gerade diese aber hatte Westeuropa seinerszeit wieder einmal grundlos schlimmstes befürchten lassen, denn es war immer schon Teil seines psychologischen Drohszenarios.


„Stärker“ also in seinen Augen ist man nur, wenn man ihn zurückdrängt, mit Waffengewalt versteht sich. Damit ist auch jegliches Kriegsziel, nicht nur für die aktuell überfallene Ukraine sondern auch für die bedrohten Demokratien Europas, unmissverständlich definiert: Putin muss in seinem Expansionsdrang militärisch gestoppt werden. Seine „Militäroperation“ muss ein Misserfolg in den Augen des eigenen Volkes und der Welt werden.


Ich höre jetzt schon wieder die Demütigungs-Angst-Argumente…..aber es gibt eben auch unangemessene Ängste, die nicht die Realität widerspiegeln. 


Soviel also zu Ihren hochgeistigen Theorien einer waffenlosen Verhandlungs-Lösung.  


Kommen wir auf Ihre Sorgen der Eskalation nochmal zurück: die Eskalationsmacht liegt wie gesagt leider von Anfang an einseitig auf Putins Seite, wie er seit Kriegsbeginn eindrucksvoll nachweist, und nicht wie es auch in anderen offenen Briefen verlautet wird, auf beiden Seiten. Es macht daher keinen Sinn, eigenes Verhalten (westliches, ukrainisches) daran auszurichten, wie der Gegner reagieren könnte - es interessiert ihn (Putin) einfach nicht.


Sie beide, Herr Welzer und Herr Precht, sind zwar hervorragende  Krieger des gesprochenen Wortes, Sie haben aber beide keinerlei realistische Einschätzung  des Psychograms eines echten Kriegers, Menschenverachters, und geltungsbedürftigen Machtmenschen,  wie wir ihn in der Gestalt Putins vor uns haben. 

 

Ein Diktator, der 30 Prozent Befürworter in seinem eigenen Volk gegenüber 20 Prozent Gegner hat, bei etwa gleichzeitg 50 Prozent braver Mitläufer als Erbe von Stalin, der Feierlichkeiten der Annektion mit Schauspielern in Großveranstaltungen durchführt, bei denen der Jubel als eigene Tonsspur für die Fernsehaufzeichnung künstlich überlagert wird, der jeden Protest auf der Strasse sofort erstickt, der nicht aufhört, mit Atomwaffen zu drohen, obgleich oder gerade weil seine Armee erbärmlich seit Beginn des Krieges versagt, kann niemals mehr ein Verhandlungspartner werden, leider. Das ist einfach nicht realistisch und seit über 20 Jahren erkennbar.


Was also könnten hier „Kriegsziele“  oder gar „Friedensziele“ dann sein? Welche „Macht“ könnte mit solch einem Menschen überhaupt noch verhandeln? Was wäre denn dann die Verhandlungsmasse? Und um welchen Preis würde man einen weiteren, kurzzeitigen Frieden erkaufen, wie er bereits durch Wegducken des Westens 2014 mit der Annektion der Krim erkauft wurde?


Wie bereits ausgeführt: Westliches Kriegsziel und damit auch Friedensziel kann nur sein, dass Putin militärisch in den Augen seiner noch 30 Prozent vorhandenen Kriegstreiber im eigenen Land derart an Gesicht verliert, dass jenen der Erhalt ihres eigenen Wohlstandes wichtiger erscheint als von einem zutiefst gekränkten Hobbyhistoriker mit Stalin-Ambitionen wieder hervorgegrabene Machtphantasien eines auf der Welt wieder anerkannten Großrussischen Reiches zu übernehmen.


Bange machen gilt nicht:  Die nukleare Hemmschwelle ist auch für Putin unüberwindbar gesetzt, nicht nur durch die NATO, sonder auch durch den Überlebenswillen der Russen selbst, insbesondere auch durch deren Wohlstandsinteressen, insbesondere der bestehenden Korruptions-Eliten - die echte Intelligenz dürfte sich ja bereits überwiegend aus ihrem Land verabschiedet haben.


Die aktuellen Erfolge der Ukraine, mit ihrem Mut und unseren Waffen, setzen Putin sichtlich zu, er wirkt zunehmend verzweifelt, aber ohne dass man globale Verzweiflungstaten wirklich befürchten müsste. Er ist kein Hitler mit Atombombe, auch wenn er inzwischen wie Hitler seinerzeit inzwischen über manche Generäle hinweg Frontentscheidungen zu treffen scheint. Hitler hatte seinerzeit Volks-Selbstmord im Sinn, wenn die Herrenrasse versagen würde, seine Ziele zu erreichen. Seine Elite und er selbst haben sich selbst umgebracht. Bei Putin und seiner Gefolgschaft kann ich derartige Ambitionen nicht erkennen: sie werden getrieben von falschem und verletzten Stolz und nicht wie Hitler damals von einer tiefen, faschistisch nationalistischen Volksüberzeugung: 50 Prozent der Russen sind Putin bisher gefolgt nach dem unausgesprochenen Handel: ich mache meine politische Selbstverwirklichung und ich lasse euch in Ruhe, ihr macht euer Ding - das war zumindest bis zur Teilmobilmachung so, als der Krieg in den Wohnzimmern dann doch ankam und Söhne und Männer von ihren Müttern und Frauen genommen werden, um sie an der Front zu verheizen.


Es ist jetzt eine gewisse Ohnmacht in seinen Handlungen zu erkennen: Hunde die bellen beißen nicht!


Er hätte aber allerdings andere Waffen, um seine konventionell erbärmliche Armee zu kompensieren: Vakuumwaffen und Hyperschallraketen. Seltsamer Weise hört man nichts dergleichen. Er hätte auch längst schon den russischen Verteidigungszustand wegen Verletzung russischen Staatsgebietes in Cherson durch die ukrainische Armee mit westlichen Waffen, also in den annektierten Gebieten, mit Generalmobilmachung ausrufen können.

Warum, so frage ich Sie,  tut er das wohl nicht?

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